Alle außer Julius: Sebastian Krämer gibt bei Step by Step
einen romantischen Einblick in seine Weltsicht
einen romantischen Einblick in seine Weltsicht
Er war vor acht Jahren der Erste, der bei Step By Step aufgetreten ist. Damals hatte der Besitzer der Tanzschule, Chris Vogt, gemeinsam mit dem hannoverschen Spaßmacher Matthias Brodowy die Idee, hier eine regelmäßige Veranstaltungsreihe ins Leben zu rufen. Vogt engagierte sich von je her für seinen Stadtteil - "genau das hatte in Vahrenwald immer gefehlt" - und er liebt Kleinkunst. Jeglicher Art, denn so unterschiedliche Protagonisten wie Brodowy, Purple Schulz oder Wolfgang Stute haben hier schon konzertiert. Und kommen gerne immer wieder zu Step By Step, dem Veranstaltungsort, der inzwischen viel mehr als eine Tanzschule ist. Auch Krämer war schon des Öfteren da. Nach einem Kurzauftritt im letzten Jahr präsentierte er jetzt sein Programm "Lieder wider besseres Wissen". Und riss sein atemloses Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.
Er sei der "Genius unter den Kabarettisten", das sagt Matthias Brodowy, der selbst nicht gerade das unbeschriebenste Blatt in der Szene ist, neidlos über Krämer. Einem breiten Publikum ist der inzwischen 42-Jährige Berliner bekannt wegen seiner akustischen Abrechnung mit Pädagogen: Sein "Deutschlehrer" ist Kult. "Das spiele ich aber nicht mehr, ich will ja die CD verkaufen", meint der Mann mit der mehrfach geringelten Krawatte lapidar, als der Wunsch nach eben diesem Lied laut wird. Er spielt stattdessen seinen letzten Song - als zweites Lied. Man solle "beim Abschied nehmen nicht immer so ein Fass aufmachen", befindet der Mann im altmodischen Maßanzug. Außerdem rücke das absehbare Ende bei Liedern wie "My Way" ja immer in weite Ferne. "Tschuldigung, ich muss jetzt zum Flötenunterricht" ist der Titel, und die Verse werden immer skurriler, wenn er etwa seine Freundin gefesselt auf dem Bett zurücklässt, weil er flöten gehen muss.
Krämer unterbricht sich oft, erzählt von etwas völlig Anderem, spielt weiter, vergisst vermeintlich seinen Text, unterbricht erneut, um dann mit einem bitterbösen Text zu einer Melodie, die oft das Zeug zum Welterfolg hätte, um die Ecke zu kommen. 'Ich glaube, der ist eher was für Intellektuelle' habe einst ein Kritiker geschrieben, sagt Krämer, und referiert über Bildungsunterschiede im Publikum. "Bitte nehmen Sie jetzt einfach nur eine intellektuelle Pose ein, das reicht mir" fügt er hinzu, macht vor, was er meint und erntet viel Lachen. So mancher fühlt sich da wohl ertappt, aber man lässt sich gern von jemandem wie Sebastian Krämer dabei ertappen, dass man ihm interleck ... intelehkt ... geistig nicht das Wasser reichen kann.
Das Thema des heutigen Abends sei Romantik, doziert Krämer, und führt einen (nicht nur in Pädagogenkreisen) bekannten Lyriker an, der viel Richtiges über Romantik gesagt habe. Nur habe Peter Hacks das alles nicht am eigenen Leibe erfahren, sagt Krämer, und darum ginge es ja schließlich. Er ruft - durchaus ernst gemeint - dazu auf, sich nicht zu scheuen, alles auszuleben, egal, ob Kitsch oder Romantik. Sein Wortwitz dabei ist ungeheuer: Er schafft es, immer noch eine Pointe anzubringen, wenn sich sein Publikum schon in vermeintlicher Sicherheit wähnt. Dabei ist eins seiner Stilmittel seit Jahrhunderten bekannt: Krämer bedient sich der Form von Küchen-, Bänkel- und Studentenliedern.
Er interagiert häufig mit den Zuhörern: Julius sitzt in der ersten Reihe. Er ist ungefähr zehn Jahre alt "und wahrscheinlich der einzige, der nichts mit den Begriffen Cassettenrecorder und Doris Day anfangen kann", sagt Krämer und bringt im nächsten Lied nebenbei den Erdkundelehrer von Julius unter.
Das Thema des heutigen Abends sei Romantik, doziert Krämer, und führt einen (nicht nur in Pädagogenkreisen) bekannten Lyriker an, der viel Richtiges über Romantik gesagt habe. Nur habe Peter Hacks das alles nicht am eigenen Leibe erfahren, sagt Krämer, und darum ginge es ja schließlich. Er ruft - durchaus ernst gemeint - dazu auf, sich nicht zu scheuen, alles auszuleben, egal, ob Kitsch oder Romantik. Sein Wortwitz dabei ist ungeheuer: Er schafft es, immer noch eine Pointe anzubringen, wenn sich sein Publikum schon in vermeintlicher Sicherheit wähnt. Dabei ist eins seiner Stilmittel seit Jahrhunderten bekannt: Krämer bedient sich der Form von Küchen-, Bänkel- und Studentenliedern.
Er interagiert häufig mit den Zuhörern: Julius sitzt in der ersten Reihe. Er ist ungefähr zehn Jahre alt "und wahrscheinlich der einzige, der nichts mit den Begriffen Cassettenrecorder und Doris Day anfangen kann", sagt Krämer und bringt im nächsten Lied nebenbei den Erdkundelehrer von Julius unter.
Ganz großes Kino wird es, wenn er aus dem Nichts ins Balladenmetier wechselt. Eben hat er noch von Toten erzählt, die darum bitten, in Ruhe gelassen zu werden, und vom blödesten Baby der Welt und von einem Waldgeist namens Alpo, und schwupps, rezitiert er ein Gedicht ganz in der Tradition von Fontanes John Maynard. Absolut stimmig und metrisch perfekt geht es in seiner Ballade - um die Tücken einer Fernbedienung. Das Publikum tobt - mit einem gewissen Verzögerungseffekt, denn wenn man erst erkannt hat, welchen großartigen Stückes Lyrik man soeben gewahr wurde, ist es oft schon vorbei.
Sprach zu dem Kinde
unter der Linde
bist meines Herzens Wonn
doch ich nur ein Pókemon
Das ist typisch Krämer, er spielt mit sämtlichen Versatzstücken von Lyrik und bringt viele Elemente unterschiedlichster Epochen dazu, sich miteinander um seine Figuren zu ranken. Das gelingt ihm übrigens auch beim Klavierspiel; in "Herzbrecherin" bringt er alle Musikgenres dieser Welt unter. Ragtime, Tango, Boogie-Woogie - einen Wimpernschlag lang zitiert er auch André Heller. Nur für Insider? Egal.
Krämer ist nicht böse im eigentlichen Sinne, er ist auch nicht hämisch, nicht zynisch oder schadenfroh - er ist der Inbegriff des Chansonniers, der es mit wenigen Mitteln, die er perfekt beherrscht - Sprache, Gesang, Instrument - schafft, seine Zuhörer zu faszinieren, zu rühren, zu verstören. In der weitläufigen Liga von Udo Jürgens, von Konstantin Wecker, Heinz Erhard, Victor Borge oder von Reinhard Mey ist Krämer der unstrittige Mannschaftsführer.Er spielt Klavier, dass es eine Freude ist. Der Flügel klingt wie Billy Joel, wie Mozart oder Rachmaninov - was immer Krämer erzeugen will, der Flügel ordnet sich unter. Seine Bewegungen wirken manchmal linkisch, ungelenk geradezu, was grotesk ist angesichts der Tatsache, dass er im Laufe des Abends nicht eine einzige falsche Note spielt. Und vermeintlich ungelenk spielt er eine Bluesimprovisation - "manchmal muss es eben ein kleines Battle sein", sagt er, während er den Flügel malträtiert. "Heute hat er gewonnen." Er, der Flügel, würde grinsen, wenn er könnte. Er, der Flügel, würde weinen, wenn Krämer auf ihm "100 Schritte von Tür zu Tür" spielt, das wohl schönste Lied über eine Berliner Videothek, das je ... okay, wahrscheinlich auch das einzige.
Mit nur zwei Harmonien singspricht er ""Goldmedaillenreggae". Wohin mit der bei Olympia gewonnenen Trophäe? Ins Bad, unter die Handtücher? Hier ist sein textliches Potenzial ungeheuer groß, er schraubt, wie bei "Deutschlehrer", Sätze in schwindelerregende Höhen, um doch immer sanft auf dem Boden des Reggae zu landen.
"Romantik ist: Wenn man's überlebt, ist es keine", sagt er, und "bei Romantik gibt es keine Rettung." "Ein Sack voll Moll", so hätte er sein Programm auch nennen können, "aber dann wären Sie ja nicht gekommen, und jetzt hab ich Sie im Sack." Ja. Das hat er. Und muss tonnenweise Zugaben, bei denen er sich bekennend verhaspelt, geben. Nur "Deutschlehrer" ist nicht drin. Das macht aber nichts, denn das Leben - auch Krämers Leben - geht weiter. Es sei denn, man ist Romantiker.
Krämer ist nicht böse im eigentlichen Sinne, er ist auch nicht hämisch, nicht zynisch oder schadenfroh - er ist der Inbegriff des Chansonniers, der es mit wenigen Mitteln, die er perfekt beherrscht - Sprache, Gesang, Instrument - schafft, seine Zuhörer zu faszinieren, zu rühren, zu verstören. In der weitläufigen Liga von Udo Jürgens, von Konstantin Wecker, Heinz Erhard, Victor Borge oder von Reinhard Mey ist Krämer der unstrittige Mannschaftsführer.Er spielt Klavier, dass es eine Freude ist. Der Flügel klingt wie Billy Joel, wie Mozart oder Rachmaninov - was immer Krämer erzeugen will, der Flügel ordnet sich unter. Seine Bewegungen wirken manchmal linkisch, ungelenk geradezu, was grotesk ist angesichts der Tatsache, dass er im Laufe des Abends nicht eine einzige falsche Note spielt. Und vermeintlich ungelenk spielt er eine Bluesimprovisation - "manchmal muss es eben ein kleines Battle sein", sagt er, während er den Flügel malträtiert. "Heute hat er gewonnen." Er, der Flügel, würde grinsen, wenn er könnte. Er, der Flügel, würde weinen, wenn Krämer auf ihm "100 Schritte von Tür zu Tür" spielt, das wohl schönste Lied über eine Berliner Videothek, das je ... okay, wahrscheinlich auch das einzige.
Mit nur zwei Harmonien singspricht er ""Goldmedaillenreggae". Wohin mit der bei Olympia gewonnenen Trophäe? Ins Bad, unter die Handtücher? Hier ist sein textliches Potenzial ungeheuer groß, er schraubt, wie bei "Deutschlehrer", Sätze in schwindelerregende Höhen, um doch immer sanft auf dem Boden des Reggae zu landen.
"Romantik ist: Wenn man's überlebt, ist es keine", sagt er, und "bei Romantik gibt es keine Rettung." "Ein Sack voll Moll", so hätte er sein Programm auch nennen können, "aber dann wären Sie ja nicht gekommen, und jetzt hab ich Sie im Sack." Ja. Das hat er. Und muss tonnenweise Zugaben, bei denen er sich bekennend verhaspelt, geben. Nur "Deutschlehrer" ist nicht drin. Das macht aber nichts, denn das Leben - auch Krämers Leben - geht weiter. Es sei denn, man ist Romantiker.
In eigener Sache: Ich habe den "Genius" vor sieben Jahren in Detlev Simons Apollo getroffen, als er dort mit Marco Tschirpke seine "Lapsuslieder" gespielt hat. Hier ist der Radiobericht dazu: