Der Spatz von Spetzfehn: Annie Heger singt und erzählt Geschichten. Und mehr als die Hälfte des Publikums versteht sie.
Ausverkauft. Seit Wochen. Das TAK In Hannover. Der Weißwurstäquator für eine Künstlerin, die ihr Programm zum großen Teil auf Plattdeutsch darbietet. Sollte man meinen. Für Annie Heger gilt das nicht. Die kleine Sängerin mit der großen Stimme spielt ihr Programm "Watt'n Skandaal!" in ganz Deutschland.
Jetzt ist sie also in Hannover. Betritt tiefenentspannt mit ihrem Pianisten Matthias Monka die Bühne, eine Flasche Jever-Bier in der Hand, Ringel-T-Shirt, Jeans, verwaschenes Knautschsakko - sie sagt "Moin" - was sonst soll sie sagen - und legt los. Monka spielt sparsam und exakt Klavier, Heger beginnt zu singen. Die Melodie erinnert sehr an "Leaving On A Jet Plane", der Titel ist aber viel aktueller: Heger singt "An Land" von Element Of Crime. Selten gecovert, bestimmt noch nie auf platt. Unter den Zuhörern macht sich eine fast andächtige Stille breit, als Heger die maritime Liebeserklärung singt:
Hier bün ick an Land spöölt worden
Hier sett ick mi fast
Van di weiht mi kien Störm mehr weg
Will bi di blieven, solang Du mi lettst
Hier sett ick mi fast
Van di weiht mi kien Störm mehr weg
Will bi di blieven, solang Du mi lettst
So klingt Sven Regener, hegeristisch. Schon bei diesen ersten Tönen wird klar: Die Frau kann singen. Stimmlich liegt sie irgendwo zwischen K.D. Lang und Silje Nergaard. Aber rotzig kann sie auch. "Ick hop, dat du blied bist" ist im Original eine Nummer von Skunk Anansie. Was Heger mit lyrischer Interpretationskraft aus diesem Song herausholt, ist wieder atemberaubend. Wo Deborah Dyer, die kahlköpfige Sängerin der Independent-Rocker von Skunk Anansie, schreit, flüstert Heger. Wo Dyer krächzt, haucht sie. Und sie hilft den Nicht-Plattsnackern auf die Sprünge: "'Blied' heißt nicht 'blöd', wie man meinen könnte, sondern froh." Und so erschließt sich auch diese Ballade jedem. Denn längst nicht alle Gäste im TAK sprechen platt.
Kleine Linksdrehung am Rad der Geschichte. Wer ist Annie Heger, und was verschafft ihr in einer Stadt, deren Bewohner für sich in Anspruch zu nehmen, bundesweit das reinste Hochdeutsch zu sprechen, einen derartigen Zulauf?
Heger ist seit 2013 eine der amüsanten Radioplauderinnen, die der altehrwürdigen NDR-Sendung "Hör mal 'n beten to" eine gehörige Portion Frische verpasst haben. Ihre Betrachtungen über das Leben im Allgemeinen und das Leben in Aurich, "Auerk", wie die Eingeborenen ihre Heimatstadt nennen, im Besonderen, haben mittlerweile Kultstatus bei vielen Radiohörern erlangt. Zuvor hatte die 33-Jährige als Regieassistentin, als "Mephisto"-Darstellerin und als Swingsängerin schon beachtliche Erfolge eingefahren.
Kleine Linksdrehung am Rad der Geschichte. Wer ist Annie Heger, und was verschafft ihr in einer Stadt, deren Bewohner für sich in Anspruch zu nehmen, bundesweit das reinste Hochdeutsch zu sprechen, einen derartigen Zulauf?
Heger ist seit 2013 eine der amüsanten Radioplauderinnen, die der altehrwürdigen NDR-Sendung "Hör mal 'n beten to" eine gehörige Portion Frische verpasst haben. Ihre Betrachtungen über das Leben im Allgemeinen und das Leben in Aurich, "Auerk", wie die Eingeborenen ihre Heimatstadt nennen, im Besonderen, haben mittlerweile Kultstatus bei vielen Radiohörern erlangt. Zuvor hatte die 33-Jährige als Regieassistentin, als "Mephisto"-Darstellerin und als Swingsängerin schon beachtliche Erfolge eingefahren.
Als plattsnackende Kabarettdeern hat sie eine Rolle gefunden, die ihr maßgeschneidert zu sein scheint. Die bildschöne Frau mit der völlig unprätentiösen Kurzhaarfrisur wirkt absolut authentisch, wenn sie Geschichten von ihrem Großvater erzählt - etwa, wie der einen gegnerischen Angriff im zweiten Weltkrieg einfach verpennt hat, oder von sich selbst berichtet, "dass man es als dunkelhaariges Mädchen in Ostfriesland durchaus nicht immer einfach hatte."
Und immer wieder: Ihr Gesang. Dass die meisten Texte der Lieder von ihr stammen, dass sie sensibel ins Plattdeutsche übersetzt hat, wird fast zur Nebensache, wenn sie die Stimme erhebt. Heger könnte womöglich in jedem Genre bestehen; in diesem ist sie zweifellos die Rudelführerin - der ihre Kollegen vom NDR, die sich ebenfalls mit plattdeutscher Kultur befassen, Verzeihung, niemals das Wasser reichen können.
Im Gegensatz zu einer weiteren Kollegin, der Denglischsprachigen Gayle Tufts, der sie stimmlich ungeheuer ähnelt, unternimmt Heger nur ganz dezente Versuche, ihre "Fremdsprache" zu erklären. Ihre dahingeworfenen Übersetzungen sind allerdings auch für die des Plattdeutschen nicht mächtigen Besucher ab und zu hilfreich, ändert sich doch die Linguistik in Schleswig-Holstein manchmal schon von einer Kanalseite zur anderen.
Und immer wieder: Ihr Gesang. Dass die meisten Texte der Lieder von ihr stammen, dass sie sensibel ins Plattdeutsche übersetzt hat, wird fast zur Nebensache, wenn sie die Stimme erhebt. Heger könnte womöglich in jedem Genre bestehen; in diesem ist sie zweifellos die Rudelführerin - der ihre Kollegen vom NDR, die sich ebenfalls mit plattdeutscher Kultur befassen, Verzeihung, niemals das Wasser reichen können.
Im Gegensatz zu einer weiteren Kollegin, der Denglischsprachigen Gayle Tufts, der sie stimmlich ungeheuer ähnelt, unternimmt Heger nur ganz dezente Versuche, ihre "Fremdsprache" zu erklären. Ihre dahingeworfenen Übersetzungen sind allerdings auch für die des Plattdeutschen nicht mächtigen Besucher ab und zu hilfreich, ändert sich doch die Linguistik in Schleswig-Holstein manchmal schon von einer Kanalseite zur anderen.
Im zweiten Teil des Programms kommt sie in einem völlig anderen Outfit auf die Bühne geschlendert. Auch im kleinen Schwarzen macht sie eine gute Figur. Und sie macht weiter in Sachen Lehrstunde "Ostfriesisch ohne Otto." Denn mit Spaßvögeln dieser Art hat Hegers Programm etwa so viel zu tun wie ein Bikini mit dem Nordpol. Oder wie Veganismus mit Wiesmoor. "Das wäre so ähnlich wie der Ausdruck "Geile Nonne", sagt Heger todernst auf hochdeutsch, grinst und nimmt damenhaft einen Schluck Sekt.
Es gibt weitere Geschichten, weitere Lieder, immer kongenial begleitet von Pianist Matthias Monka, und es gibt "Klunkers sind doch dat, wat bleeft" - Marylin Monroe würde nicht nur wegen des Gesangs erblassen. Als vielgeforderte Zugabe dient eine plattdeutsche Version vom "Abendlied" - am berühmten Schubertschen Stück mit dem Text von Matthias Claudius (Der Mond ist und so weiter) haben sich schon so Einige versucht, Grönemeyer, Reichel, Pe Werner ... Annie Heger macht auch dieses Teil deutscher Tradition zu einer Sinfonie.
Als es vorbei ist, steht sie, wieder im Ringelshirt, hinter dem Flügel und verkauft ihre CDs. Lächelnd, tiefenentspannt, wie zu Beginn. Wahrscheinlich kann sie auch noch kochen.
Es gibt weitere Geschichten, weitere Lieder, immer kongenial begleitet von Pianist Matthias Monka, und es gibt "Klunkers sind doch dat, wat bleeft" - Marylin Monroe würde nicht nur wegen des Gesangs erblassen. Als vielgeforderte Zugabe dient eine plattdeutsche Version vom "Abendlied" - am berühmten Schubertschen Stück mit dem Text von Matthias Claudius (Der Mond ist und so weiter) haben sich schon so Einige versucht, Grönemeyer, Reichel, Pe Werner ... Annie Heger macht auch dieses Teil deutscher Tradition zu einer Sinfonie.
Als es vorbei ist, steht sie, wieder im Ringelshirt, hinter dem Flügel und verkauft ihre CDs. Lächelnd, tiefenentspannt, wie zu Beginn. Wahrscheinlich kann sie auch noch kochen.