New York - London - Hannover: Das Treppenhausorchester im Bredero-Hochhaus
Bekannt für ungewöhnliche Inszenierungen und Auftrittsorte sind sie seit Langem: Ob es im "Dark Room" ist, eins der persönlichen "Notfallkonzerte" oder eine "Welt aus Glas": Die Damen und Herren des hannoverschen "Orchester im Treppenhaus" wollen einem unbedarften Publikum klassische Musik näher bringen. Das tun sie mit Auftritten vor einer Massentierhaltungsfabrik in Wietze, in einem Zirkuszelt in der Südstadt, wo die Besucher die Augen verbunden bekommen, oder im Treppenhaus des Schauspielhauses Hannover. Das Orchester ist eigentlich ein Freundeskreis: Kennen gelernt haben sich die Musiker während des Studiums an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH), seitdem sorgen sie mit ihren Projekten bundesweit für Furore.
Am Samstag stand für das Orchester und rund 400 Gäste das Thema "Disco" an: Im Bredero-Hochhaus am Raschplatz stellt Dirigent Thomas Posth Stücke junger Komponisten vor. Die Schlange vor dem (leider einzigen) Fahrstuhl gilt diesmal nicht dem nur wenige Meter entfernten Club "Zaza", sondern dem 16. Stockwerk des Hochhauses. Hier haben in der Vergangenheit schon einige sehenswerte Kulturveranstaltungen stattgefunden. Nackte Rohre, abblätternder Putz an den Wänden, Luftschächte im Boden - der Betonklotz hat innerlich viel zu bieten. Der Gigant ist im Umbruch: Hier entsteht ein Hotel, ganz oben wohnen Menschen, die einen atemberaubenden Blick auf Hannover haben. Sie würden - so wie viele Bewohner des Ihme -Zentrums - um nichts in der Welt ihren Platz auf dem Dach der Stadt aufgeben wollen. Viele der leerstehenden Etagen scheinen zu schlafen. Die Sechzehnte tut es heute nicht.
Zu chilligen Ambient-Klängen von DJ Stoff füllt sich das Loft hoch über der Stadt. Die warmen Brüder von Linden schmiegen sich ans Anzeiger-Hochhaus, die Oststadt verschmilzt mit der Eilenriede, winzig klein wirken die Autos auf der Berliner Allee und der Celler Straße. Wie dahingetupfte Glühwürmchen flackern ihre Scheinwerfer. Der ehemalige Fernmeldeturm ist zum Greifen nah. Nach und nach beschlagen die Scheiben, während immer mehr Gäste den Weg in die entkernte Etage finden - einige Dutzend Enttäuschte müssen auch wieder nach Hause geschickt werden.
Rhythmisches Discolicht, aufblasbare Couches, Matten, Bierkisten - eine minimalistische Lounge ist entstanden. Und dann ist plötzlich das Orchester auf der Bühne, vierzehn Musiker, ein Dirigent. Posth wirkt ungewöhnlich nervös, das ist hier und heute seine Homebase, seine Hood, da will er gut sein, besser. Vielleicht nagt auch nur der Gedanke an Brandschutzverordnungen und städtische Auflagen an ihm. Posth hebt den Taktstock und inszeniert, ist plötzlich gut gelaunter Zeremonienmeister, lächelnd, mitgroovend.
Das getragene Intro von "Rise á mètre" geht über in ein stampfendes, treibendes Percussionthema, Bläserstaccati verleihen der Komposition von Carlos Cipa einen hypnotischen, geradezu gefährlichen Charakter. Wilde Pferde galoppieren über die Bühne, die schnaufende Schlagzeuglokomotive von Jonas Krause saust an Stationen vorbei, bevor sie von der Bassklarinette von Sebastian Wendt sanft gebremst wird.
Eine Uraufführung gibt es auch: "No squares on the stairs" von Kostia Rapoport zeigt die riesige Bandbreite, die ein klassisches Ensemble haben kann. Techno- und Funkelemente, House und Folk verweben sich in einer geradezu unwirklichen Atmosphäre zu einem homogenen Ganzen. Gershwin auf Speed. Das, was hier heute Abend passiert, würde man eher in New York vermuten, vielleicht in London - kleine, gemeine Anspielung: Es ist selten, dass Hannover in einer Liga dieser Größenordnung mithalten kann. Bei Benjamin Scheuers "No. 2" würde es niemanden wundern, wenn die Commodores die Bühne beträten und "Nightshift" sängen. Das heute überwiegend fachkundige Publikum bejubelt die Stücke ekstatisch, die gedämpfte Trompete von Juri de Marco gibt ein Thema vor, das vielstimmig nachgesungen wird.
Zwei der Besucher sind sogar aus dem Ländle angereist: Verena und Freddy aus Tübingen haben bei Facebook von der Veranstaltung erfahren, sie fanden die Vorstellung "total spannend". Sie tanzen entrückt im hinteren Bereich, während die Anderen vorne, vor der Bühne, dichtgedrängt stehen und atemlos einem der jetzt schon besten Konzerte des Jahres lauschen.
Nach zwei Stunden ist es vorbei. Posth geht verschwitzt und glücklich durch die Reihen in den Aufenthaltsbereich für die Musiker. Ist er zufrieden? "Ja, und völlig erledigt", sagt er. Und fügt hinzu. "Könnte sein, dass man über dies Konzert noch lange reden wird." Ja, könnte sein. Großes, großes, riesengroßes Kino am Raschplatz.
Mehr über Dirigent Thomas Posth und seine Musiker:
http://treppenhausorchester.de/galerie/videos/
https://youtu.be/LILoWojj5l0
https://www.youtube.com/channel/UCQ-eHKgYtVZEjC8ToQccNjQ
Am Samstag stand für das Orchester und rund 400 Gäste das Thema "Disco" an: Im Bredero-Hochhaus am Raschplatz stellt Dirigent Thomas Posth Stücke junger Komponisten vor. Die Schlange vor dem (leider einzigen) Fahrstuhl gilt diesmal nicht dem nur wenige Meter entfernten Club "Zaza", sondern dem 16. Stockwerk des Hochhauses. Hier haben in der Vergangenheit schon einige sehenswerte Kulturveranstaltungen stattgefunden. Nackte Rohre, abblätternder Putz an den Wänden, Luftschächte im Boden - der Betonklotz hat innerlich viel zu bieten. Der Gigant ist im Umbruch: Hier entsteht ein Hotel, ganz oben wohnen Menschen, die einen atemberaubenden Blick auf Hannover haben. Sie würden - so wie viele Bewohner des Ihme -Zentrums - um nichts in der Welt ihren Platz auf dem Dach der Stadt aufgeben wollen. Viele der leerstehenden Etagen scheinen zu schlafen. Die Sechzehnte tut es heute nicht.
Zu chilligen Ambient-Klängen von DJ Stoff füllt sich das Loft hoch über der Stadt. Die warmen Brüder von Linden schmiegen sich ans Anzeiger-Hochhaus, die Oststadt verschmilzt mit der Eilenriede, winzig klein wirken die Autos auf der Berliner Allee und der Celler Straße. Wie dahingetupfte Glühwürmchen flackern ihre Scheinwerfer. Der ehemalige Fernmeldeturm ist zum Greifen nah. Nach und nach beschlagen die Scheiben, während immer mehr Gäste den Weg in die entkernte Etage finden - einige Dutzend Enttäuschte müssen auch wieder nach Hause geschickt werden.
Rhythmisches Discolicht, aufblasbare Couches, Matten, Bierkisten - eine minimalistische Lounge ist entstanden. Und dann ist plötzlich das Orchester auf der Bühne, vierzehn Musiker, ein Dirigent. Posth wirkt ungewöhnlich nervös, das ist hier und heute seine Homebase, seine Hood, da will er gut sein, besser. Vielleicht nagt auch nur der Gedanke an Brandschutzverordnungen und städtische Auflagen an ihm. Posth hebt den Taktstock und inszeniert, ist plötzlich gut gelaunter Zeremonienmeister, lächelnd, mitgroovend.
Das getragene Intro von "Rise á mètre" geht über in ein stampfendes, treibendes Percussionthema, Bläserstaccati verleihen der Komposition von Carlos Cipa einen hypnotischen, geradezu gefährlichen Charakter. Wilde Pferde galoppieren über die Bühne, die schnaufende Schlagzeuglokomotive von Jonas Krause saust an Stationen vorbei, bevor sie von der Bassklarinette von Sebastian Wendt sanft gebremst wird.
Eine Uraufführung gibt es auch: "No squares on the stairs" von Kostia Rapoport zeigt die riesige Bandbreite, die ein klassisches Ensemble haben kann. Techno- und Funkelemente, House und Folk verweben sich in einer geradezu unwirklichen Atmosphäre zu einem homogenen Ganzen. Gershwin auf Speed. Das, was hier heute Abend passiert, würde man eher in New York vermuten, vielleicht in London - kleine, gemeine Anspielung: Es ist selten, dass Hannover in einer Liga dieser Größenordnung mithalten kann. Bei Benjamin Scheuers "No. 2" würde es niemanden wundern, wenn die Commodores die Bühne beträten und "Nightshift" sängen. Das heute überwiegend fachkundige Publikum bejubelt die Stücke ekstatisch, die gedämpfte Trompete von Juri de Marco gibt ein Thema vor, das vielstimmig nachgesungen wird.
Zwei der Besucher sind sogar aus dem Ländle angereist: Verena und Freddy aus Tübingen haben bei Facebook von der Veranstaltung erfahren, sie fanden die Vorstellung "total spannend". Sie tanzen entrückt im hinteren Bereich, während die Anderen vorne, vor der Bühne, dichtgedrängt stehen und atemlos einem der jetzt schon besten Konzerte des Jahres lauschen.
Nach zwei Stunden ist es vorbei. Posth geht verschwitzt und glücklich durch die Reihen in den Aufenthaltsbereich für die Musiker. Ist er zufrieden? "Ja, und völlig erledigt", sagt er. Und fügt hinzu. "Könnte sein, dass man über dies Konzert noch lange reden wird." Ja, könnte sein. Großes, großes, riesengroßes Kino am Raschplatz.
Mehr über Dirigent Thomas Posth und seine Musiker:
http://treppenhausorchester.de/galerie/videos/
https://youtu.be/LILoWojj5l0
https://www.youtube.com/channel/UCQ-eHKgYtVZEjC8ToQccNjQ