Der späte Ruhm des Stefan G.
Ach ja, das Musikerdasein: Wer es in jungen Jahren nicht schafft, sich seinen Platz bei Wikipedia zu erobern, für den ist es wohl irgendwann zu spät. Zu spät für Ruhm, für Goldene Schallplatten oder für eine Nominierung zum deutschen Vorentscheid des ESC, the Event formerly known as Grand Prix de la Chanson. Zwar gibt es auf der Suche nach Unsterblichkeit die Chance, dem Club 27 beizutreten, in dem Jimi Hendrix, Amy Winehouse, Janis Joplin oder auch Jim Morrison auf einen neuen Sänger für die Jam-Session im und mit Nirvana warten. Der Preis dafür ist allerdings der frühe Tod - mit 27 Jahren, wie der Name schon sagt - und dafür ist Stefan Gwildis ein paar Dekaden zu spät dran. Seinen Platz bei Wikipedia hat er trotzdem.
Der 57-jährige späte Shooting-Star hat allerlei unterschiedliche Projekte absolviert, ein Duo namens "Aprilfrisch", Kabarett mit Herrchens Frauchen, Pop-Rock mit den Strombolis, ein schräges Musical namens "Wuttke II - am Arsch der Welt", um nur einige zu nennen. Mehr als Achtungserfolge waren nicht drin. Er galt als einer dieser Ausnahmesänger, als einer, der alles singen kann und der das auch tut - konsequent am Massengeschmack vorbei.
Und dann, im Jahr 2003, kommt ein weiteres Album: "Neues Spiel" katapultiert den 45-Jährigen weit nach oben in die Charts. Plötzlich kennt alle Welt den charismatischen Anzugträger mit dem verschmitzten Grinsen. Und alle Welt liebt diese Coverversionen berühmter Soul-Klassiker, akribisch in Szene gesetzt mit der Crème de la crème der Hamburger Studiomusiker, die den Motown-Legenden in rein gar nichts nachstehen. Plötzlich ist es sexy, deutsche Musik mit anspruchsvollen, intellektuellen Texten zu hören. Gwildis macht in allerfeinster Soul-Shouter-Manier aus der Temptations-Nummer "Papa was a rolling stone" eine deutsch-deutsche Stasi-Spitzel-Geschichte. Er traut sich an Marvin Gaye, Gamble & Huff und Lucio Dalla heran und interpretiert sie in geradezu überwältigend souveräner Art und Weise auf deutsch. Soul-Klassiker á la Stefan Gwildis werden Kult.
Gwildis war gestern Abend zu Gast in Hannover. Eine neue CD zum Vorstellen, "Alles dreht sich", im ersten Teil, einige der alten Hits und ein Gospel-Chor aus Hannover, bei Facebook gecastet, im zweiten - das lockt über 1000 Besucher ins Theater am Aegi. Gut gelaunt kommt der Meister zu einem James-Brown-artigen Intro auf die Bühne und scattet fröhlich mit dem Publikum. Saxofon, Posaune, Hammond-Orgel, Bass - Soul vom Feinsten. Seinen Schnupfen grooved er weg. "Bin 'n büschen erkältet" klang nie schwärzer. Roter Samtvorhang im Hintergrund, fetter Soundvorhang vorn: "Pollerhocken" ist das erste Lied, den Refrain "Poller hocken, Schiffe gucken, Schnauze halten" singen auch die Nicht-Hanseaten sofort begeistert mit. Selten hat man ein Auditorium so einmütig erlebt. Er beatboxt zwischendurch ("Aber ich bin nicht hier, um das Mikrofon vollzuschnoddern") macht einige zarte Dancemoves unter Anspielung auf sein Alter - seine Zuhörer sind größtenteils so alt wie er und können darüber lachen. Beim zweiten Lied steht das Aegi kollektiv auf, um zu tanzen. Das ganze Aegi. Gwildis "Wir tanzen übern Kiez" ist die unvermeidliche Hommage an David Bowie, aber es klingt Gwildis-frisch, rau, nasal, gelöst. Niemand würde sich wundern, wenn Mick Jagger von hinten herangetänzelt käme, um seinen Original-Gesangspart darzubieten.
"Mein Meer", lässt befürchten, der Sänger und der Abend könne sich in maritimen Themen verlieren. Dem ist gottlob nicht so. Gwildis kann nicht nur sein Leben in Hamburg und umzu in klare Worte fassen, auch bei anderen Themen ist er sprachgewaltig. In "Doppelhaushälftenherz" wird er zum Bofrost-Mann, der die Frau, deren Gatte auf Dienstreise in Tschechien ist ... lassen wir das. So skurril die Titel seiner Lieder, so genau sind seine Beobachtungen. Er zieht seinen durchaus gesellschaftskritischen Texten ein Barry-White-Kleidchen an, und schon klingen sie harmloser. Kleine Sätze führen manchmal zu großen Bildern im Kopf. Wie in "Handvoll Liebe", wenn er aus vermeintlichen Gemeinplätzen starke Szenarien entstehen lässt. Es scheint wärmer zu werden, wenn er singt. Wenn er die Konsonanten langzieht und dabei mit dem Publikum kokettiert. Optisch ist er inzwischen nicht weit von Roland Kaiser entfernt, musikalisch eine Galaxie.
Dann kommt "Joyful Noise" auf die Bühne, ein Gospelchor aus Hannover. Gwildis sucht sich in jeder Stadt auf seiner Tour ein Ensemble, das mit ihm singen darf. Unter der Leitung von John Gregory Perrineau (der "Eruption"-Gründer, der sein "I can't stand the rain" brav und immer noch mitzappelverdächtig anstimmt) liefern die Damen und Herren Sänger bei einigen Nummern eine höchst anständige Leistung ab. Auch ohne ihre Mitstreiterin Jamie Lee Kriewitz, die - blöde Parallelität der Ereignisse - mal eben in Köln den ESC-Vorentscheid für sich gewinnen konnte, während der Chor seine fünf Minuten Ruhm genießt.
Ruhiger Anfang nach der Pause. Dann wird es zunehmend rockiger: Percussion und Drums lassen die Zuhörer wieder aufstehen, schlimme Textzeilen wie "La la la la / es ist so wunderbar / wir sind total verrückt / mit Rhythmus und Musik" macht Gwildis zu einem Samba-Feuerwerk. Zugaben sind "Papa will da nicht mehr wohn' " und das ganz alte "Mama mag ihn". Er könnte auch über's Müll rausbringen singen oder über's Tauben töten im Park - im Grunde macht er das, was er vor dreißig Jahren schon gemacht hat. Aber jetzt wollen es alle hören.
Ach ja, das Musikerdasein: Wer es in jungen Jahren nicht schafft, sich seinen Platz bei Wikipedia zu erobern, für den ist es wohl irgendwann zu spät. Zu spät für Ruhm, für Goldene Schallplatten oder für eine Nominierung zum deutschen Vorentscheid des ESC, the Event formerly known as Grand Prix de la Chanson. Zwar gibt es auf der Suche nach Unsterblichkeit die Chance, dem Club 27 beizutreten, in dem Jimi Hendrix, Amy Winehouse, Janis Joplin oder auch Jim Morrison auf einen neuen Sänger für die Jam-Session im und mit Nirvana warten. Der Preis dafür ist allerdings der frühe Tod - mit 27 Jahren, wie der Name schon sagt - und dafür ist Stefan Gwildis ein paar Dekaden zu spät dran. Seinen Platz bei Wikipedia hat er trotzdem.
Der 57-jährige späte Shooting-Star hat allerlei unterschiedliche Projekte absolviert, ein Duo namens "Aprilfrisch", Kabarett mit Herrchens Frauchen, Pop-Rock mit den Strombolis, ein schräges Musical namens "Wuttke II - am Arsch der Welt", um nur einige zu nennen. Mehr als Achtungserfolge waren nicht drin. Er galt als einer dieser Ausnahmesänger, als einer, der alles singen kann und der das auch tut - konsequent am Massengeschmack vorbei.
Und dann, im Jahr 2003, kommt ein weiteres Album: "Neues Spiel" katapultiert den 45-Jährigen weit nach oben in die Charts. Plötzlich kennt alle Welt den charismatischen Anzugträger mit dem verschmitzten Grinsen. Und alle Welt liebt diese Coverversionen berühmter Soul-Klassiker, akribisch in Szene gesetzt mit der Crème de la crème der Hamburger Studiomusiker, die den Motown-Legenden in rein gar nichts nachstehen. Plötzlich ist es sexy, deutsche Musik mit anspruchsvollen, intellektuellen Texten zu hören. Gwildis macht in allerfeinster Soul-Shouter-Manier aus der Temptations-Nummer "Papa was a rolling stone" eine deutsch-deutsche Stasi-Spitzel-Geschichte. Er traut sich an Marvin Gaye, Gamble & Huff und Lucio Dalla heran und interpretiert sie in geradezu überwältigend souveräner Art und Weise auf deutsch. Soul-Klassiker á la Stefan Gwildis werden Kult.
Gwildis war gestern Abend zu Gast in Hannover. Eine neue CD zum Vorstellen, "Alles dreht sich", im ersten Teil, einige der alten Hits und ein Gospel-Chor aus Hannover, bei Facebook gecastet, im zweiten - das lockt über 1000 Besucher ins Theater am Aegi. Gut gelaunt kommt der Meister zu einem James-Brown-artigen Intro auf die Bühne und scattet fröhlich mit dem Publikum. Saxofon, Posaune, Hammond-Orgel, Bass - Soul vom Feinsten. Seinen Schnupfen grooved er weg. "Bin 'n büschen erkältet" klang nie schwärzer. Roter Samtvorhang im Hintergrund, fetter Soundvorhang vorn: "Pollerhocken" ist das erste Lied, den Refrain "Poller hocken, Schiffe gucken, Schnauze halten" singen auch die Nicht-Hanseaten sofort begeistert mit. Selten hat man ein Auditorium so einmütig erlebt. Er beatboxt zwischendurch ("Aber ich bin nicht hier, um das Mikrofon vollzuschnoddern") macht einige zarte Dancemoves unter Anspielung auf sein Alter - seine Zuhörer sind größtenteils so alt wie er und können darüber lachen. Beim zweiten Lied steht das Aegi kollektiv auf, um zu tanzen. Das ganze Aegi. Gwildis "Wir tanzen übern Kiez" ist die unvermeidliche Hommage an David Bowie, aber es klingt Gwildis-frisch, rau, nasal, gelöst. Niemand würde sich wundern, wenn Mick Jagger von hinten herangetänzelt käme, um seinen Original-Gesangspart darzubieten.
"Mein Meer", lässt befürchten, der Sänger und der Abend könne sich in maritimen Themen verlieren. Dem ist gottlob nicht so. Gwildis kann nicht nur sein Leben in Hamburg und umzu in klare Worte fassen, auch bei anderen Themen ist er sprachgewaltig. In "Doppelhaushälftenherz" wird er zum Bofrost-Mann, der die Frau, deren Gatte auf Dienstreise in Tschechien ist ... lassen wir das. So skurril die Titel seiner Lieder, so genau sind seine Beobachtungen. Er zieht seinen durchaus gesellschaftskritischen Texten ein Barry-White-Kleidchen an, und schon klingen sie harmloser. Kleine Sätze führen manchmal zu großen Bildern im Kopf. Wie in "Handvoll Liebe", wenn er aus vermeintlichen Gemeinplätzen starke Szenarien entstehen lässt. Es scheint wärmer zu werden, wenn er singt. Wenn er die Konsonanten langzieht und dabei mit dem Publikum kokettiert. Optisch ist er inzwischen nicht weit von Roland Kaiser entfernt, musikalisch eine Galaxie.
Dann kommt "Joyful Noise" auf die Bühne, ein Gospelchor aus Hannover. Gwildis sucht sich in jeder Stadt auf seiner Tour ein Ensemble, das mit ihm singen darf. Unter der Leitung von John Gregory Perrineau (der "Eruption"-Gründer, der sein "I can't stand the rain" brav und immer noch mitzappelverdächtig anstimmt) liefern die Damen und Herren Sänger bei einigen Nummern eine höchst anständige Leistung ab. Auch ohne ihre Mitstreiterin Jamie Lee Kriewitz, die - blöde Parallelität der Ereignisse - mal eben in Köln den ESC-Vorentscheid für sich gewinnen konnte, während der Chor seine fünf Minuten Ruhm genießt.
Ruhiger Anfang nach der Pause. Dann wird es zunehmend rockiger: Percussion und Drums lassen die Zuhörer wieder aufstehen, schlimme Textzeilen wie "La la la la / es ist so wunderbar / wir sind total verrückt / mit Rhythmus und Musik" macht Gwildis zu einem Samba-Feuerwerk. Zugaben sind "Papa will da nicht mehr wohn' " und das ganz alte "Mama mag ihn". Er könnte auch über's Müll rausbringen singen oder über's Tauben töten im Park - im Grunde macht er das, was er vor dreißig Jahren schon gemacht hat. Aber jetzt wollen es alle hören.