Hamburg: A Very Barry Mood
Das Licht geht aus im Saal zwei des Hamburger Congresscentrums (CCH). Zwanzig schwarz gekleidete Musiker kommen auf die Bühne, fangen an zu spielen, und Schwupps, verwandelt sich die eben noch kühle Location, die gut als Tagungsort des Kaninchenzüchterverbands Pinneberg West hätte durchgehen können, in so etwas wie einen schwülen Tanzpalast. Discokugeln projizieren Spots auf die Decke und auf die Strickjacken im Publikum. Die Musiker sind großartig, sechs Geigerinnen und eine Cellistin grooven lächelnd mit, genau wie die drei Backgroundsänger, die beiden Saxofonisten. Trompete, Posaune, Percussion sind dabei, und zwei Keyboarder, die von der Statur auch als Security-Leute hätten durchgehen können, Bass, Schlagzeug - die Besetzung ist großes Kino.
Das erste Lied allerdings, es klingt doch exakt wie - genau. Es klingt wie "The Love Unlimited Theme". Das ist der Plan. "The Barry White Experience" nennt sich die Formation um Sänger Eric Conley. Ein Tribut an die massige Schmachtikone vergangener Dekaden. Conley aka Barry White betritt nach dem schwülstigen, geigenlastigen Song, der tausendmal auf jeder 70er-Jahre-Party als Opener funktioniert hat, gemessenen Schritts unter gewaltigem Applaus die Bühne. Er sieht gut aus, dafür, dass er seit dreizehn Jahren tot ist, und abgenommen hat er auch. Es ertönt: "Can't Get Enough Of Your Love" und man mag seinen Ohren nicht trauen: Conley hat es, das Timbre, das Eisblöcke zum Schmelzen bringt. "Thank you, right here, c'mon, Baby" - so geht ewige Liebe.
Das Orchester spielt viele der großen Erfolge des mehrfach Grammy-gekrönten Sängers, der seit 1975, zunächst mit dem "Love Unlimited Orchestra" und dann solo die Tanzflächen dieser Welt in Schwingung versetzt hat. Beim fünften Lied wäre Mr. White längst in Schweiß gebadet gewesen. Mr. Conley hingegen absolviert "September" ohne jedes Zeichen körperlicher Anstrengung. Er gurrt, schmeichelt und flüstert sich in die Herzen seiner Hamburger Fans. Die der Weiblichen, weil sie zu dem Song im Autokino auf der Rückbank eines VW-Käfers geküsst wurden, die der Männlichen, weil sie sich an den von Papa geliehenen Käfer und die Kugelboxen erinnern. Remember September, woo hoo hoo. Zwischendurch kommt Lisa Stansfield auf die Bühne und singt "All Around The World", einen Welthit, der sie 1989 direkt in die Fußstapfen von Barry White treten ließ. Heute heißt Lisa Vanessa Iraci und ist Mitglied der "Experience". Sie steht dem Original ebenfalls in nichts nach. "Extasy", "Satisfaction Guaranteed" - das ist Disco Soul vom Allerfeinsten, mit exakten, authentischen Arrangements. Und das, obwohl die meisten der zwanzig Musikanten noch gar nicht auf der Welt waren, als Barry White mehr als 200 Millionen Alben verkauft hat. Bevor er 2013 nach einem Schlaganfall an Nierenversagen gestorben ist, weil er monatelang vergebens auf ein Spenderorgan gehofft hatte.
Am Ende, bei "The First, The Last, My Everything", steht auch der letzte der gar nicht mehr reservierten Hansestädter auf und tanzt mit zu einer großartigen Remineszenz an die 70er. Die Stimmung ist der Spirit: Schlaghose, Goldkette, Plateauschuhe. Zugabe: "You See The Trouble With Me". Da wollen Conley, der zunehmend apathisch wirkt, die hohen Töne nicht mehr so recht gelingen. Aber das stört hier niemanden, das Kollektiv schwelgt in Erinnerungen, die Band jubiliert. Und bevor der Sänger unters Sauerstoffzelt muss, holt er noch einen Joker aus dem Ärmel. Einer seiner Backgroundsänger und der Saxofonist, der angeblich schon mit James Brown selig auf der Bühne stand, geben gemeinsam "Sex Machine". Soul wird Funk, Hamburg wird Detroit. Jetzt ist endgültig Partytime. Und für ein Schlagzeugsolo ist auch noch Platz.
Zwei Stunden dauert die Barry-White-Tribute-Show, und dafür, dass die Gäste eigentlich nur eine Coverband gesehen haben, haben sie beim Hinausgehen ziemlich glückliche Mienen. Womöglich denken sie an Käfer, Küsse und Kugelboxen. Egal. Toller, beschwingter Abend.
| Eric Conley und "The Barry White Experience": Just The Way You Are" (Billy Joel) |