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MICHAEL KROWAS

Zwei Erwachsene, keine Kinder

21/4/2019

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Eigentlich habe ich Katzen, seit ich denken kann. Okay, manchmal denke ich nicht oder nicht viel, das gebe ich zu, aber können kann ich es. Meine Katzen waren und sind selbstverständlich immer die tollsten Katzen der Welt – und alle meine Freunde finden das auch. Zumindest behaupten sie das, wenn ich sie direkt darauf anspreche. „Boah, sind Susis Krallenspuren am Sofa kreativ“ oder „nein, wie niedlich sie gerade in die Ecke kackt“…

Alle, bis auf meine Schwester. Sabine war für mich das Paradebeispiel für etwas, das man einen Katzenhasser nennt.  „Iiih, wie die haart“ oder „Wehe, die steckt den Kopf in meine Handtasche“ oder „Meine Güte, wie das Katzenklo wieder stinkt“ – derlei Äußerungen verbinde ich kausal mit meiner Schwester. Man konnte sich immer darauf verlassen, dass sie nach einem halbstündigen Besuch in meiner Wohnung anfing zu röcheln: „Ich krieg keine Luft mehr“ und hurtig entschwand.

Seit einiger Zeit ist alles anders. Der Instagram-Account meiner Schwester quillt über vor Bildern von ihren Beinen, auf denen gerade irgendeine Katze herumlungert. Oder sie hält eine dieser Felidae auf dem Arm und lässt sich die Nase ablecken. Welche Mächte da auch immer ihre Hand im Spiel hatten, meine große Schwester ist jetzt offenbar katzenverrückt. Und es ist ihr völlig egal, dass ich seit 35 Jahren mit den Viechern lebe. Nie fragt sie mich um Rat oder um meine Meinung, was die jeweiligen Objekte ihrer Zuneigung angeht, nie, niemals. Ein bisschen sauer macht mich das schon.
 
Eine gute Freundin von mir kenne ich seit der Schulzeit. Karina positionierte sich damals mehr als deutlich zum Thema Kinder. Wenn die Rede auf Kinder kam, machte sie immer irgendwelche Würgegeräusche oder deutete mit der flachen Hand einen Schnitt durch die Kehle an. „Gut durch“, das war ihre Standardantwort auf die Frage, ob sie denn Kinder möge. Kids suck, das war ihr unumstößliches Motto. Jahrelang.

Wir sind, wie gesagt, heute noch befreundet. Wir telefonieren von Zeit zu Zeit, um uns über unsere gegenseitigen Leben auszutauschen. Karina erzählt dann jedes Mal stolz von Lisa, ihrer Tochter, die Medizin im mittlerweile dritten Semester studiert, und von Phil, ihrem Sohn, der gerade sein Abi baut. „Eins neunzig, ist das zu fassen?“ – womit sie nicht dessen Durchschnittsnote bei der Reifeprüfung meint.

Heute, am Ostersonntag, war ich mit meiner Liebsten, ihrer Tochter und deren Tochter unterwegs. Ich habe natürlich nicht das Recht, mich in Luises Leben einzumischen – ich will nicht riskieren, dass sie mir irgendwann ein verächtliches „Du bist gar nicht mein richtiger Vater, bäh“ entgegen schleudert – aber ich habe mich mehr als deutlich zum Thema Enkelkinder und ich geäußert. „Wer mich je ‚Opa‘ nennt, stirbt“, oder so ähnlich. Ich fühle mich eben nicht wie einer. Einige meiner verflossenen Gefährtinnen hatten auch Kinder, und immer, wenn ich irgendwie meine Meinung geäußert habe, kam unweigerlich dieser Spruch. Trennungsgrund, nicht mehr, nicht weniger. Luise ist da anders. Sie schätzt meine Meinung oder tut zumindest so, und sie weiß, dass ich anfangs missgebilligt habe, dass sie so jung schon Mutter wird. Nun ist es jedoch so, dass ihre winzig kleine Tochter ein ganz zauberhaftes Wesen ist. Wenn sie mit ihren winzig kleinen Händen an meiner Kette zerrt oder mit ihren winzig kleinen Füßen in mein Gesicht tritt, zerfließe ich vor lauter Zuneigung.
 
Vorhin, beim Frühstück, meinte Luise ernsten Blickes, sie müsse mich jetzt mal etwas fragen. Ich zuckte zusammen. Dass ich kein Geld habe, weiß sie, und meine recht bunte Vergangenheit ist ihr ebenfalls wohlbekannt. Also legte ich meine Stirn in erwartungsvolle Falten. „Sie wird ja jetzt bald anfangen zu sprechen“, sagte Luise über ihre winzig kleine, zauberhafte Tochter, „und ich wollte mal wissen, wie ich dich anteasern soll, wenn wir von dir reden. Krowie, Krowas, Michi, Micha oder Opa?“

Die Stille am Tisch wurde greifbar. Ich runzelte meine Stirn solange, bis ich aussah wie ein Bassett, und murmelte: „Opa ist schon okay“, ganz leise, damit es auch ja niemand hört.

Luise meinte nur, ja, das fände sie auch am besten, und ich stocherte weiter in meinem Rührei herum. Wann, um Himmels willen, ist denn aus mir Misogyn ein gnädiger alter Mann geworden? Ich werde meine Schwester fragen müssen.
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Gedanken aus der Zwischenablage

11/11/2018

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Thema Kulturhauptstadt: Die Bewerbung und die Diskussion darum nimmt immer groteskere Formen an. Ich habe mal  ein paar Gedanken gesammelt. Warnung: Der Text ist lang. Wer keine Lust hat, ihn zu lesen, kann ihn auch als Podcast hören. Dazu müsste man runterscrollen ...
Kulturhauptstadt 2025

Hannover – eine Stadt steht sich selbst im Weg

von Michael Krowas

Hannover ist eine der Städte in Deutschland, die sich mit dem Titel „Kulturhauptstadt 2025“ schmücken wollen. Immerhin sind WIR ja schon – kollektives WIR ist jedes mal angesagt, wenn es um solche Titel geht – UNESCO City of Music. Und WIR hatten ja auch die EXPO. Und die Jungs von Hannover 96, also UNSERE Jungs, waren ja 1992 mal Pokalsieger. Und wir waren Kanzler.

Die Wogen branden hoch. Klar, man will Stellung beziehen zu diesem Thema. Man ist ja kulturinteressiert, irgendwie. Was kostet so was, was soll das, wem bringt das was, das Geld sollte lieber für wichtigere Dinge verwendet werden … egal, ob Helene-Fan oder Punk, ob Klassik-Anhänger oder Stadlgänger, jeder hat eine Meinung. Außerdem kommen die Scorpions aus Hannover. Und ich hab mal neben Klaus Meine auf der Lister Meile einen Kaffee getrunken. Während ich leise und falsch „Wind of Change“ gepfiffen habe.

​
Gestern, in der Tonhalle. Zwei Besucherinnen eines Jazz-Konzerts unterhalten sich. „Hier kann man jeden Abend Jazz hören“, sagt die eine. Mit „Hier“ meint sie offenbar die Stadt, denn ihre Begleiterin fragt: „Wo denn zum Beispiel?“ „Na, hier, oder im Jazz-Club, oder im Kanapee ...“

Wer die Tonhalle nicht kennt, es handelt sich um einen kleinen, feinen Club unter privater Führung in einem Teil der Stadt, der nicht einmal einen Namen hat. Die winzige Tonhalle liegt genau zwischen der Calenberger Neustadt und Herrenhausen neben dem Westschnellweg. Dort finden regelmäßig tolle Konzerte statt, von international bekannten Jazz-Größen bis hin zu Sessions von Studenten der renommierten Musikhochschule (HMTMH). Perfekt organisiert, nette Veranstalter, Platz für 50 Jazz-Enthusiasten. Wer Jazz nicht kennt: Es handelt sich um einen Musikstil. Och nö, das ist ja so Schlaubatz-Musik, da lob' ich mir doch Helene. Da gehen auch viel mehr Leute hin.

Slogan: Nachbarschaft

Das Motto der hannoverschen Bewerbung lautet: „Nachbarschaft.“ Ähnlich originell wie „Klar“, der neue Niedersachsenslogan. Am 16. Oktober trafen sich sämtliche neun deutschen Bewerber, darunter Städte wie Chemnitz, Hildesheim,Dresden und Nürnberg, in Berlin. Für Hannover ging der Poetry Slammer Tobias Kunze auf die Bühne und slammte, dass es eine Freude war. Er hatte zwar das alte, von allen Gremien verworfene Motto „Hannover hat nichts“ zum Thema, aber Junge Junge, was für ein toller Auftritt.

Nachbarschaft also. Stadtteilwechsel. Südstadt – die Anwohner beschweren sich, wenn es in der nahen HDI-Arena wieder einmal zu laut wird für die Hörgeräte, mit deren Hilfe man ja die 20-Uhr-Nachrichten im Ersten verstehen und nicht von den hymnenhaften Klägen von Coldplay abgelenkt werden will. Streng dreinblickende, muskulöse Ordnungsamtsmitarbeiter patroullieren mit Pegelmessgeräten vor der Arena und begrenzen im Namen von Recht und Ordnung die Lautstärke eines solchen Auftritts. Später im Jahr, beim Maschseefest im selben Stadtteil, untersagen muskulöse, streng dreinblickende Ordnungsamtsmitarbeiter fünf jungen Musikern ihren Auftritt zwischen Geibelstraße und Nordufer. „Keine Konzession.“ Soll wohl heißen, die Tagesschau läuft immer noch. Oder die Gastronomen, die horrende Summen für die Möglichkeit zahlen, in einer Bretterbude am Rudolf-von-Bennigsen-Ufer noch horrendere Summen zu verdienen, haben laut genug geheult.

Überhaupt, die Straßenmusik. Nicht gern gehört von der Obrigkeit, schon gar nicht, wenn „elektroakustische Verstärkeranlagen“ eingesetzt werden. Oder wenn mehr als vier Musikanten gemeinsam am Werk sind – die Beatles waren schließlich auch nur zu viert. Oder wenn die ausübenden Musiker womöglich südländisch aussehen. Damit die das neue Regelwerk auch bestimmt alle verstehen, gibt es einen Flyer in acht Sprachen. Wenn Sie unbedingt Musik hören wollen, gehen Sie gefälligst in ein Konzert. Außerdem stört portugiesischer Fado oder irischer Folk beim Shoppen. Die Firma Hannover Concerts trägt den Namen der Stadt, in der sie tätig ist. Immerhin. Abgesehen davon ist es ein rein privates Unternehmen, das es seit Jahrzehnten schafft, Abertausende von Menschen zu mobilisieren und zu begeistern. So gut wie alle Musikgrößen des späten 20 und 21. Jahrhunderts haben in der HDI- oder der TUI-Arena konzertiert. Prince und die Stones, Peter Maffay und AC/DC waren auch schon bei uns. Und jetzt kommt P!nk. Und wir waren Kanzler.

Subkultur

„Bei Chéz Heinz“, der Club mit dem bescheuerten Namen, ist Kult. Randgruppenmusikbegeisterte Eingeborene treffen sich hier, im Keller unter einem heruntergekommenen Schwimmbad bei Lesungen oder Konzerten. Jetzt hat der Club keinen Platz mehr neben dem geplanten neuen, gigantischen Fössebad. Eine 50-Meter-Olympiabahn soll es dort demnächst geben, Tribünen und weiteren Firlefanz. Darauf hat man im Stadtteil Linden ganz sicher gewartet. Dabei kriegen es die Stadtverantwortlichen noch nicht einmal hin, dass im nahen Vahrenwalder Bad die kulturellen Konflikte ausbleiben. Zwischenzeitlich musste das sogar gesperrt werden, weil nach Ansicht der Betreiber zu viele Muslima mit ihren Kindern zum Schwimmen gegangen sind. In einem deutschen Schwimmbad trägt man gefälligst Bikini …

Für das „Bei Chéz Heinz“ ist in Hannover also kein Platz mehr. Und während die BeiChézHeinzer eine neue Bleibe suchen, finden im Oktober die Jazz-Tage statt – nahezu unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Die kenn' ich ja alle gar nicht. Till Brönner, den hab ich letztes Jahr im Theater am Aegi gesehen. Und Randy Crawford. Und meine Jazz-Pflicht ist damit erfüllt.

Dann schon lieber Klassik im Maschpark, hinter dem wunderschönen neuen Rathaus – dort wird Tosca oder Don Giovanni seit vier Jahren zu einem rauschenden Fest für alle Kulturliebhaber. Es ist zwar rasend schnell ausverkauft, aber der Maschpark drumrum lädt zum – ausnahmsweise erlaubten – Picknick ein. Umsonst und draußen und man darf seine eigenen Getränke mitbringen. Das finden alle toll. Alle. Aha. Wer je auf einer türkischen Hochzeit war, weiß, wie für die Menschen dieses uns so fernen Kulturkreises ein rauschendes Fest aussieht. Nur vielleicht für die Familie nicht, die das Milchgeld zahlen muss. Auch die Beschneidung eines jungen Irakers wird zu einem tagelangen rauschenden Fest. Wollen wir da alle hin? Verstörender Gedanke? Viel verstörender: Die Rathausfassade wurde in diesem Jahr renoviert, und man dachte tatsächlich darüber nach, für 70 000 Euro eine Plane mit einem Rathausfoto über die Baugerüste zu legen, damit der NDR, der das Klassik-Spektakel live übertragen hatte, schöne Bilder senden konnte.

Kultur ist Vielfalt, diese Fahne schwenkt so mancher Politiker oder Veranstalter gern. Ja, das kann sie sein, die Kultur. Beispiel bauhof Hemmingen. Schon klar, der unbedeutende kleine Nachbar von Hannover, 20 000 Einwohner, eine Kooperative Gesamtschule, und genau ein Veranstaltungsort. Genau dort aber lud man vor einigen Jahren zu einem Konzert einer unbekannten Band mit eher experimentell anmutendem Programm. Es gab Jazz in Verbindung mit Bild- und Tonprojektionen. Zahlende Gäste: Sieben. Der Veranstalter und die Künstler entschlossen sich, den Auftritt stattfinden zu lassen. Die nicht-anwesenden 103 Gäste (der bauhof ist für 110 Besucher ausgelegt) haben ein mitreißendes Konzert verpasst. Geht also. Nur: Wer bezahlt das? So viele Getränke können sieben Gäste in der Pause gar nicht trinken, dass Band und Veranstalter auf ihre Kosten kommen. Kulturvielfalt. Ein Scheiß. Dann doch eher ein Konzert von Helene, bei dem allein der Bühnenaufbau so viel kostet wie die Gage für sämtliche Künstler, die im bauhof in drei Jahren auftreten.

Kunst? Bitte nicht

Die wütende Diskussion um die Fassadengestaltung für den Anbau des Sprengel-Museums gellt den Hannoveranern noch in den Ohren; vergessen hingegen sind die jahrelangen vehementen Proteste um die drei dicken Damen am Leibnizufer, mit denen die Stadt heute so gern prahlt. Die Nanas sind längst zu einem der Wahrzeichen von Hannover geworden. Jetzt gibt es sogar eine Straße, die nach der Bildhauerin der bunten Ungetüme benannt ist. Nur blöd, dass die Hannoveraner weiterhin Passerelle zur Nikki de Saint Phalle Promenade sagen. Die Nanas stehen übrigens direkt am Leibnizufer, auf einem Areal, auf dem Samstags der Flohmarkt stattfindet, auch so eine hannoverschen Institution. Den haben in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zwei Kulturschaffende gegen die Proteste der Stadt ins Leben gerufen und für ewige Nachhaltigkeit gesorgt: Reinhard Schamuhn und Mike Gehrke. Gehrke, der langjährige Jazzclub-Vorsitzende, hat immerhin einen schmalen Weg nah an seinem Flohmarkt bekommen, der nach ihm benannt ist. Der Kabarettist Dietrich Kittner, dessen unermüdliches politisches Schaffen in Hannover der Nation größtenteils verborgen blieb, weil er für die paar Medien, die es damals gab, zu unbequem war, hat tatsächlich sogar einen Platz. Der allerdings befindet sich vor dem Bismarckbahnhof. Nicht etwa am Bischofsholer Damm, wo Kittner jahrelang mit dem Theater an der Bult zu Hause war. Schon gar nicht am Küchengarten, dessen gleichnamiges Theater aus lauter Verzweiflung von ihm gegründet wurde, weil er Berufsverbot bekommen hatte.

Ja ja, die Sache mit den Straßennamen. Derzeit gibt es kaum eine polarisierendere Diskussion in der Stadt, die Kulturhauptstadt werden will. 27 Straßen sollen umgewidmet werden, und es werden täglich mehr. Hindenburgstraße, Konrad-Lorenz-Straße, Ferdinand-Porsche-Straße? Iiih bääh. Leibnizufer? Na, über den berühmten Philosophen lässt sich doch bestimmt auch irgendwo eine politische Verfehlung ausgraben. Wenn es im Landtag wieder einmal unspannend zugeht, hat doch sicher irgendein Politiker Zeit, zu googeln. Im Landtag gibt es bestimmt kostenloses W-Lan. Aufschrei aus der Bevölkerung? Kann nix hören, im neu gebauten Landtagsgebäude sind die Wände schallgedämmt.

Streitkultur

Gegen die hannoverschen Querelen im Rathaus um den Kulturdezernenten Harald Härke sind die Seehofer Strich Merkel Strich Söder Diskussionen ein, Zitat, Fliegenschiss der Geschichte, Zitat Ende. Härke hat versucht, seiner Lebensgefährtin einen Job in der Verwaltung zu verschaffen. Verwerflich? Ja. Liebe? Ja. Wie das politisch instrumentalisiert wird, ist unerträglich. Sicher ist nur: Es wird später mal keine Harald-Härke-Gasse geben. Schade eigentlich. Denn Härke war in seiner Eigenschaft als Kulturdezernent sicher einer der hellsten Köpfe, die Hannover je zu bieten hatte.

A propos helle Köpfe: Auch die Erfindung des Grammophons und der Schallplatte schreibt man einem Hannoveraner zu: Emil Berliner war der große Tüftler seiner Zeit; geboren wurde er in der Stadt an der Leine. Die CD ging in Hannover 1982 in Serie, der hannoversche Uni-Professor Hans-Georg Musmann entwickelte das mp3-Format und Professor Walter Bruch bei Telefunken in Hannover das PAL-System. Letztlich haben wir also unsere permanente mediale Berieselung den Hannoveranern zu verdanken.

Natürlich hat Hannover jede Menge kulturelle Erinnerungen, etwa an Kurt Schwitters. Mit dessen berühmtester Figur, Anna Blume, werden immer noch Wortspiele gemacht. Auch ein Café heißt so wie die Dada-Ikone. Ein zeitgenössischer Künstler hält die Tradition aufrecht, entwickelt sie weiter. Friedhelm Kändler heißt der Mann. Nie gehört? Googeln Sie den, Sie werden überrascht sein. Seine Kunstform heißt „Wowo“ (nein, das finden Sie mal schön selbst heraus).

Und Erinnerungen an die Scorpions, born and raised in Hannover. Wobei die neidvolle Rockmusikerfraktion bis heute der Meinung ist, der Erfolg der Scorpions beziehe sich ja irgendwie auch auf sie selbst. Schließlich waren wir im selben Proberaum, und unser Sänger damals konnte viel besser Englisch.

Kulturschaffende

Die ESC-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut kommt aus Hannover-Misburg. Ein Wunder, dass sie beim Raab-Casting nicht zu allererst „In the Ghetto“ gezwitschert hat. Und jetzt ist sie nach Köln gezogen. Dem Rest der Welt ist das übrigens schnurz. Oder weiß jemand, wo „Ein bisschen Frieden“-Nicole geboren wurde?

Heinz-Rudolf Kunze – ein Zugezogener aus der Gegend um Osnabrück. Wie man in seinen frühen Texten hören könnte, wenn man bereit wäre, sich auf mehr einzulassen als auf „Dein ist mein ganzes Herz“. Er lebt und wirkt in der Wedemark, einem Landschaftsidyll vor den Toren der Stadt, umgeben von Wäldern und Ex-Bundespräsidenten.

Fury in the slaughterhouse – nur die Gitarristen der Band, Christof Stein-Schneider und Gero Drnek, leben noch hier. Stein-Schneider ist politisch links von Che Guevara angesiedelt und macht aus seinen Überzeugungen in sozialen Netzwerken keinen Hehl. Er lebt in Linden, dem Stadtteil, der immer schicker wird. Wenn Tim Mälzer nicht schon in der Hamburger Schanze ansässig wäre, würde er bestimmt für die Lindener kochen. Wobei die das auf der Limmerstraße mitten im Lindener Kult-Viertel absolut selber drauf haben. Denn dort lebt man die kulturelle Vielfalt. Restaurants aus gefühlt 100 Ländern bieten hier alles, was das kulinarische Herz begehrt.

Hannover hat alles

Die hannoversche Kulturszene ist bunt, nicht nur in Linden. Es gibt tolle Locations, an denen ein breites Spektrum an kulturellen Veranstaltungen durchgeführt wird. Es gibt winzige Clubs und monströs große Hallen. Es gibt jede Menge Mainstreamradio- und Fernsehsender und es gibt Nischenprogramme. Man kann grandiose Open-Air-Konzerte erleben und man kann in zauberhaften Galerien Wunderbarers entdecken. Überdimensionale, gewünschte Graffiti prangen an Hauwänden, und an der Bahnbrücke an der Vahrenwalder Straße steht: Welcher Idiot beschmiert unsere Stadt so. Und es gibt Menschen: Der Geiger Andrew Manze leitet seit 2014 die NDR-Radiophilharmonie. Der Maler Stefan Lang und der Pop-Art-Künstler Della sind weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Die Schriftstellerin Ninia LaGrande sorgt auf Poetry-Slam-Veranstaltungen für Begeisterung; sie gehört dem Kulturhauptstadt-Bewerbungsteam an. Alexa Hennig von Langes neuer Roman spielt in Hannover. Und Giovanni die Lorenzo, der Chefredakteur der Wochenzeitung „DIE ZEIT“, ist am Maschsee auf die Waldorfschule gegangen. Womit wir beim unangenehmsten Thema wären.

Schule: Musik- und Kunstlehrer verzweifelt gesucht

Während Hannover gerade sein 18. Gymnasium plant, fehlen in Niedersachsen noch immer hunderte Lehrer. Darunter haufenweise Musik- und Kunstpädagogen. Mag sein, dass derartiges Wissen um Kultur, um Kulturgut und um verschiedene Kulturen heute nicht mehr zeitgemäß ist, und mag auch sein, dass man sich im Jahr 2018 beim Vermitteln von Wissen auf das Wesentliche beschränken muss. Wenn sich Schüler im Deutschunterricht auf die Rechtschreibung von „Fuck ju Göhte“ berufen, muss allerdings nachgedacht werden. Und zwar dringend. Und zwar über Goethe. Dessen große Liebe Charlotte Buff übrigens Johann Christian Kestner geheiratet hat und mit dem nach Hannover gezogen ist. Wo ein Museum nach ihm benannt ist. Und so schließt sich der Kreis. Hannover hat irgendwie alles. Aber warum wollen die Niedersachsen denn unbedingt zur europäischen Kulturhauptstadt gekürt werden? Reicht es denn nicht, wenn man sich die UNESCO-City-of-music-Anstecknadel (in Form- und Farbgebung eine kleine Schallplatte. Niedlich.) ans Revers heften kann? Offenbar nicht. Alle sind irgendwie scharf darauf, diesen nichtssagenden Titel zu führen. Und dabei weiß die linke Hand häufig nicht, was die rechte tut. (Und die hat manchmal auch nur recht vage Vorstellungen davon).

Schließlich ist ja jeder schon mal in Hannover gewesen oder hat zumindest mal hier getankt. Bis auf Oeds Westerhof womöglich. Der Holländer wurde für zunächst ein Jahr verpflichtet, Hannover auf den Weg zur Kulturhauptstadt zu bringen; immerhin hat er das erfolgreich im niederländischen Leeuwarden geschafft. Er bekommt 100 000 Euro für seine Beratertätigkeit. Als das 34-köpfige Kulturhauptstadt-Team vorgestellt wurde, war Westerhof nicht dabei. Er wohnte einem Empfang der niederländischen Königshauses bei. Man muss eben Prioritäten setzen …

Hier ist der Text für die Lesefaulen. Dauert so lange wie die Tagesschau.
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Feministin allein zu Haus

3/11/2018

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In letzter Zeit muss ich gar keine eigenen Geschichten mehr erleben. Denn jedes mal, wenn ich mit meiner alten Freundin einen Kaffee trinke, bekommt sie früher oder später diesen ganz bestimmten Gesichtsausdruck. Dann weiß ich, sie fängt gleich an, auf ihre unnachahmliche Art eine ihrer Stories zu erzählen. Ich muss also nur zuhören und an den richtigen Stellen lachen. Meist sage ich so etwas wie „Du meine Güte, wirklich?“ und muss diese Geschichte danach nur noch aufschreiben. Nun denn: 

Sie sei, erzählte meine Freundin, vor Jahren allein zu Hause gewesen. Damals lebte sie in einem Haus, das am Waldrand recht allein vor sich hin stand. Im Gegensatz zu meiner Freundin, die zu der Zeit frisch verheiratet und frisch verliebt war. Ihr Mann war und ist passionierter Jäger; er war im Wald unterwegs und ist demnach raus aus der Geschichte. 

Sie stand in der Küche, erzählte meine Freundin, und sie war dabei, sich einen Tee zu machen, als es an der Tür klopfte. Die Tür des Hauses war zum größten Teil aus Glas. Überhaupt habe das alte Haus haufenweise sehr schöne große Glasfenster gehabt. Die Aussicht sei phänomenal gewesen, sagte meine Freundin, sie habe sich gefühlt wie die Hexe im Knusperhäuschen. Um sie herum nichts als Wald und Grün und Natur. Und eben der Mann, der geklopft hatte. Sie sah ihn vor ihrer gläsernen Haustür stehen, groß, dunkel gekleidet, bewegungslos. Er trug einen Korb in seiner Hand. „Nicht etwa einen Weidenkorb oder ähnliches, sondern einen Einkaufskorb aus Draht. Total leer“, erklärte mir die Freundin. In seiner anderen Hand befand sich – ein Messer. Ein sehr großes Messer. 

Nun kann meine Freundin hervorragend malen; überhaupt ist sie den schönen Künsten sehr zugeneigt. Kampfkunst oder dergleichen gehört eher nicht zu ihren Stärken. Der Mann hatte sich noch immer nicht bewegt. Sie geriet in Panik. Sie griff zum Handy, um die Polizei anzurufen. „Nie, niemals ist mein Akku leer“, erzählte sie, „nur dieses eine Mal. Sowas von leer.“ Sie rannte im Haus umher, um das Festnetztelefon zu finden, das sie wie immer irgendwo hingelegt hatte, weil „ich das Ding sowieso nie benutze.“ Der Mann folgte ihr von Fenster zu Fenster, sah ihr mit durchdringendem Blick zu und schwenkte das Messer. 

Kein Handy, kein Festnetz und vor dem Haus ein psychopathischer Massenmörder.  „Was blieb mir übrig“, fragte meine Freundin. Sie schoss zur Hintertür hinaus, setzte sich in ihr Auto, ließ den Motor an und wollte flüchten. Plötzlich erschien der Mann vor ihrem Wagen, stellte sich davor und fuchtelte mit dem Messer. 

„Ich war so kurz davor, los zu fahren“, sagte meine Freundin, „so kurz.“ Sie bildete mit zwei Fingern ein wirklich kleines Symbol. „Aber man kann doch nicht einfach einen Menschen überfahren.“ Sie sprang also kreischend aus ihrem Auto, um – tja, um was eigentlich zu tun? „Keine Ahnung“, gab meine Freundin zu. In dem Moment kam ihr Mann mit seinem Auto auf das Grundstück gefahren. „In solchen Momenten bin ich ganz froh über die Rollenverteilung innerhalb der Geschlechter“, gab sie zu. Gewehr gegen Messer, irgendwie sinnvoller als Messer gegen leeren Akku – ihr Weltbild war wieder hergestellt. 

Nun stellte sich heraus, dass der Mann nicht etwa unterwegs war, um Waldbewohner zu meucheln, sondern ein Stadtmensch, der sich beim Pilzesuchen verlaufen hatte. „Völlig dehydriert, total nett und dankbar für das Glas Wasser, das ihm mein Mann anbot“, erinnerte sich meine Freundin. 

Was diese Geschichte aber so besonders macht, ist das Gespräch, das ihr vorausging, gestern, beim Kaffee. Wir sprachen über dies und das, und ich berichtete von einer Bekannten, die ebenfalls sehr kunstaffin ist. „Was macht die denn“, fragte meine Freundin, und ich antwortete völlig unbedarft: „Das ist die Frau von Sascha.“ 

„Sexist! Macho! Unglaublich!“ wetterte meine Freundin, „also das ist doch mal wieder typisch Mann. Ihr denkt doch immer noch in den alten Klischees. Was sie macht, habe ich gefragt, Mensch, nicht, wer ihr Kerl ist. Eine Frau ist nicht ad definitionem die Frau von irgendeinem Typen …“ und so weiter und so weiter. Ich schämte mich wie verrückt. Andererseits wäre meine Freundin, wenn ihr Typ nicht rechtzeitig gekommen wäre, heute wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher Irgendwas im Gefängnis. Und dann hätte die Geschichte schon in der Zeitung gestanden.
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Kick it like Mozart

16/10/2018

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Meine Nachhilfeschüler duzen ihre Lehrer. Die Katharina, der Sebastian, die Mandy. Das wäre damals, als ich zu den bildungshungrigen Eleven gehört habe, undenkbar gewesen. Ich bin ehrlich gesagt heute noch nicht ganz sicher, ob Frau Zippel, die Lateinlehrerin, überhaupt einen Vornamen hatte. Oder die Chemielehrerin Frau Dr. Ruiter. Diese zerstreute Dame ist mir hauptsächlich deshalb in Erinnerung, weil man ihr nachsagte, sie jage bei ihren Experimenten regelmäßig das Chemielabor in die Luft. Ich war selbst nie dabei - Schlussfolgerungen über die Häufigkeit meiner Anwesenheit in der Schule bitte ich tunlichst zu unterlassen. Aber mir war klar, trotz aller explosiven Kunststücke, die sie drauf hatte, wäre sie nie so cool wie Q gewesen, der Tüftler in Diensten Ihrer Majestät - James Bond- oder John Cleese-Fans und Karsten von Massenbach wissen, wen ich meine. 

Es gab Fächer, die erschienen mir damals reizvoll, andere wieder hielt ich für gänzlich überflüssig. Einen Dreisatz hab ich irgendwie immer hingekriegt; alles, was danach kommt, gehörte für mich in die für immer verschlossene Schublade mit den Geheimnissen der Menschheitsgeschichte.

Kurz: Ich habe nach dem von mir erfundenen selektiven System gelernt. Auch das erlebe ich bei meinen Schülern relativ oft. "Yo, Lehrer, ich kann das Alphabet, aber ich mag diese Umleute einfach nicht. Klar? Und jetzt geh mir nicht auf den Sack und bring mich rechnen bei." Bei mir war es so: Entweder ich wusste Sachen sowieso, oder sie waren es nicht wert, meine Aufmerksamkeit länger als irgend nötig von dem abzulenken, was schon damals mein Lebensinhalt war. Musik. Ich bin mit diesem meinen Halbwissen ganz gut durch die Schulzeit gekommen, denn es gab ja auch ein paar Fächer, in denen ich glänzen konnte. Deutsch, Englisch, Sport und - falsch. Denn ausgerechnet in Musik hatte ich so meine Probleme. Das lag häufig, und bitte glauben Sie mir das, nicht an mir. Es war die Schuld meines Musiklehrers.

Dr. Theodor Peine war riesenhaft groß, alt wie Methusalem und er trug eine Brille, deren Gläser dick wie Flaschenböden waren. Er stand in seinem karierten Sakko vor der Klasse und regte sich auf. Aus Gründen. Entweder jemand hatte nicht verstanden, wie reizvoll die Pentatonik ist oder warum Alexander Borodin im Adagio seiner zweiten Symphonie (in H-Dur. H-Dur!!!) so viele enharmonische Verwechslungen verwendet. Oder ein Bay-City-Rollers-Sticker auf der Jutetasche eines der Mädchen passte ihm nicht - es war im Grunde egal, Dr. Peine regte sich vermutlich einfach nur gern auf. Dabei nahm seine Gesichtsfarbe eine Rottönung an, die mit dem Grad seiner Erregung immer stärker wurde. Leicht rosé, tomatenketchuprot, feuerrot - das waren die üblichen Abstufungen. Ich habe es geschafft, ihm ein Burgunderrot abzuringen. Meine Mitschüler und ich duckten uns unter die Tische, als wir es bemerkten, in der Angst, Peines Kopf würde explodieren und dessen Inhalt würde sich über den gesamten Klassenraum verteilen. 

Die Stunde begann wie immer. Dr. Peine kam ins Klassenzimmer geeilt - er eilte immer, denn, wie wir alle wussten, sein Nebenjob war anstrengend und zeitintensiv. Er spielte die Orgel in der Marktkirche, "die GROßE, Herrschaften, wenn ich bitten darf", und er musste ständig zu irgendwelchen Besprechungen oder Proben oder ... als ob die Stunde schneller vorbei wäre, wenn man schneller spricht. 

Üblicherweise knallte er einen Stapel mit Notenheften auf einen leeren Tisch, grunzte "verteilen", wobei er niemanden bestimmtes meinte, marschierte beflügelten Schrittes zum Lehrerpult, wo ein Schallplattenspieler älteren Semesters stand und zog mit Daumen und Zeigefinger (schauderhafte Vorstellung) eine Platte aus dem Cover. Dann drückte er sie irgendwie in die Mitte des Plattenspielers, setzte die Nadel mit der Hand darauf und wir verbrachten den Rest der Stunde damit, berühmte Stücke berühmter Komponisten zu hören und gleichzeitig die Noten zu lesen. 

In der Schule hatten wir nie Notenunterricht; dazu war sich Dr. Theodor Peine womöglich zu schade. Er ging einfach davon aus, dass man sowas können muss. So wie essen oder atmen. Sagen wir so: Die Leute, die a: Noten lesen konnten und b: interessiert genug waren, dem Musikstück zu folgen, konnte man am Daumen einer Hand abzählen. Kleiner Tipp: Fängt mit K an und hört mit rowie auf. Für die Musiker: Wenn ich geblättert habe, gab es ein höchst erfreuliches Delay, denn relativ zügig blätterten dann meine Nebenleute, und bis es der letzte in der letzten Reihe mitgekriegt hatte, war es schon wieder Zeit zum Blättern. 

Lustig. Aber das ist nicht die Geschichte, die ich erzählen wollte. Denn Dr. Peine erzählte auch gern Anekdoten aus dem Leben berühmter Leute - wahrscheinlich war er bei den meisten selbst dabei. Ich mag gute Kurzgeschichten (haha), aber Peines waren noch nicht einmal ansatzweise spannend, weil er sie stets mit erhobenem Zeigefinger erzählt hat. Und weil sie viel zu lang waren.  

Das Bild ist von F.K. Waechter
Es ging im Unterricht um Tonarten. "Tonika, Dominante, Subdominante, Parallel Moll"...welche Tonfolge erzeugt welche Stimmung bla bla bla ... Dr. Peine konnte auch dieses hochspannende Thema zerreden. Und dann kam er mit einer seiner Geschichten. "Eines Abends saß Mozarts Vater mit einem Freund am Flügel und sie spielten Etüden." Ein Flügel im Wohnzimmer gehörte für Dr. Peine eben immer dazu. "Und der Freund endete seinen Vortrag mit einer Subdominante." Er machte eine bedeutungsschwangere Pause und erntete verständnislose Blicke. "Und Mozart, der kleine Mozart" - der ein Wunderkind war, was auch der ignoranteste meiner Mitschüler wusste - "musste aus einem inneren Zwang heraus aus dem Bett aufstehen, zum Flügel gehen und die Schlusstonika spielen."

Was Dr. Peine an Reaktionen auf diese Geschichte erwartete, weiß ich nicht. Vermutlich Bravorufe oder sowas wie "Hört hört" - die Klasse machte weiter wie zuvor. Mit Popeln, Briefe schreiben, aus dem Fenster sehen, hoffen, dass jemand vom Stuhl fällt - das Übliche. Nur Krowie nicht. Ich sagte gelangweilt: "Das hätt' ich wohl auch gemacht. Klingt doch sonst scheiße."

Verzückt beobachtete die Klasse, wie die Gesichtsfarbe des Dr. Theodor Peine schließlich zu Burgunderrot wurde. Das brachte mir einen legendären Eintrag ins Klassenbuch ein. "Herr Krowas vergleicht sich mit Mozart", schrieb Dr. Peine. Und gab mir den Rat, später bloß niemals einen Beruf zu ergreifen, der irgend etwas mit Musik zu tun hat. Und, habe ich auf ihn gehört? 
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Parken in Polen

12/10/2018

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(mik) Es sei etwas peinlich, sagte meine Freundin, als wir in der Herbstsonne saßen und Kaffee tranken. Wir hatten uns das letzte Mal im Theater am Aegi gesehen, bei der Premiere des neuen Shakespeare-Musicals. Und da sei ihr ihr Auto abhanden gekommen, erzählte sie mir. „Du meine Güte“ entfuhr es mir“, „wie denn das?“
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Es sei eine echte Horrorgeschichte, sagte meine Freundin. Sie sei, erzählte sie, mit ihrer besten Freundin dort gewesen. Und die habe ihr Auto gefahren, weil sich meine Freundin in der Rolle der Beifahrerin nun mal wohler fühlt.

Allein die Vorstellung, Beifahrer zu sein, erschreckt mich schon sehr. Ich wartete gespannt auf den weiteren Verlauf der Gruselgeschichte um das verlorene Auto. Sie hätten also geparkt und sich das Musical angesehen, und danach habe sie früher nach Hause gewollt als ihre Begleiterin, erfuhr ich. Also verabschiedeten sie sich und meine Freundin machte sich auf den Weg zu ihrem Auto, das, wie sie sich erinnerte, vorne auf der Hildesheimer geparkt war, da, wo sie sonst immer parkt, wenn sie in der Stadt ist.

Nur: Da war nix. Also nicht nichts, da war das Dormero-Hotel, das Ärztehaus, die Arkaden und das Restaurant, wo es das beste Steak der Stadt gibt, alles mögliche, nur ihr Auto nicht. Kein Grund zur Panik, dachte sich meine Freundin und marschierte tapfer auf ihren Hi-Heels bis zur Geibelstraße. Da bekam sie dann Panik – und womöglich schmerzende Füße, also winkte sie sich ein Taxi herbei. „Mein Auto ist weg“, beschied sie den Fahrer, und er möge sie doch bitte zurück zum Theater fahren, damit sie ihrer Freundin die schlechte Nachricht mitteilen könne. „Das ist bestimmt schon in Polen“, sagte der Taxifahrer trocken. „Und das mir“, empörte sich meine polnisch stämmige Freundin über das Klischee.

Nun war ihre Freundin glücklicherweise noch da und sie war ebenso schockiert wie meine Freundin. Die beschloss, ihren Mann anzurufen, um ihm die schlechte Nachricht schonend beizubringen. „Mein Auto ist weg“, sagte sie dem Gemahl am Telefon. „Das macht mich sehr traurig“, erwiderte der. „Sowas. Hätte er mir nicht irgendwie beistehen können?, beschwerte sich meine Freundin, „empathisch geht anders.“

Die Damen gingen dann gemeinsam frustriert in Richtung Marienstraße, um ein Taxi nach Hause zu nehmen. Und da stand, unter den Arkaden beim Italiener: Genau.

„Immer, immer parke ich auf der Hildesheimer“, seufzte meine Freundin, „und außerdem sieht hier ja sowieso alles total gleich aus."

Ich blickte angestrengt in die andere Richtung, damit sie mein bösartiges Grinsen nicht sah. Auf mich wirkt sie sonst eher als das Gegenteil von orientierungslos. Zwar ist mir ähnliches auch schon mal passiert, aber das war in Los Angeles, und die Stadt der Engel ist geringfügig größer als die - Ironie ein - künftige Kulturhauptstadt - Ironie aus. Meine Freundin wollte Mitgefühl, also heuchelte ich etwas Mitgefühl und bekam dafür die zweite Pointe. Denn einige Tage später traf sie den Taxifahrer von der Geibelstraße wieder. Und zwar an ihrem Auto, vorne auf der Hildesheimer. „Oh, ist doch schick, der neue Wagen“ sagte er. Sie stieg schweigend ein und verließ die schaurige Südstadt.
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Bis einer heult

7/10/2018

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Wut im Buch: Wunder über Wunder – der neue Roman von Alexa Hennig von Lange hat nichts mit Entspannung zu tun.

Wenn ein Autor medial so omnipräsent ist wie Alexa Hennig von Lange, muss er es auch aushalten können, dass sich Kritiker, Rezensenten oder selbst ernannte Kulturfachleute zu seinen Veröffentlichungen äußern. Ich schlaubatze für gewöhnlich über die Auftritte von Musikern in meiner Lieblingsstadt, und manch einer dieser Künstler, deren Konzerte ich mir erlaube zu beurteilen, wird sich beim Lesen meiner Eindrücke  so etwas gedacht haben wie: „Was erlaube Strunz?“

Eher selten komme ich auf die Idee, mich auch zu Büchern zu äußern. Ich habe das an dieser Stelle ein-, zweimal getan, weil es mir aus verschiedenen Gründen ein Bedürfnis war. Ich schreibe zu lange selbst, um nicht zu wissen, wieviel Herzblut an einer einzelnen Formulierung, wieviel Leidenschaft an einem Satz hängen kann. Und es ist immer leichter, über einen Gitarristen und dessen verkacktes Solo in Lied drei zu schreiben, als über einen Autor herzuziehen, dessen Wortwahl einem nicht passt.

Eine Reihenhaussiedlung, irgendwo im Nirgendwo und doch bei uns allen nebenan. Mittelklassewagen im Carport, gepflegtes Grün. Gemeinsame Cocktailpartys. Platz für teure Designermöbel. Platz für adrette Kinder. Das Deutschland der 80er Jahre, das Hennig von Lange schildert, ist der Ü40-Generation bestens vertraut.

Irgendwas mit Medien

„Kampfsterne“, das neue Buch von Alexa Hennig von Lange, habe ich im Internet und in der Presse, sogar im „Heute Journal“, intensiv ans Herz gelegt und um die Ohren gehauen bekommen und wäre trotzdem nicht auf die Idee gekommen, etwas darüber zu schreiben. Bis ein mir unbekannter Journalist einen 60-Zeiler darüber verfasst hat, der mich total sauer gemacht hat. Weil ich zwischen die sechzig, völlig unzutreffenden Zeilen gelinst habe und mir klar wurde: Der hat’s nur angelesen. Oder wollte rumstänkern. Oder sich profilieren. Oder er fand die Welt an diesem Tag einfach nur blöd. Wobei das Eine das Andere nicht ausschließt.

Klar wurde, ja. Man fühlt beim Lesen. Sonst könnte man es ja sein lassen. Während also mein gemartertes linguistisches Seelchen vor Wut tiefrot anlief, war mir bereits klar, dass ich das Buch lesen will. Auch wenn meine Hennig-von-Lange-Zeit eigentlich seit zwanzig Jahren vorbei ist. Seit „Relax“ zum millionsten Mal in einem Atemzug mit „Soloalbum“ und „1979“ genannt wurde. Mal ehrlich: Hat jemals irgendwer Mark Knopfler gefragt, ob er diesen ewigen Dylan-Vergleich überhaupt zutreffend findet? Ob Picasso geschmeichelt genickt hat, wenn man seine Frolleins aus Avignon mit Paul Cézanne verglich? Ich versuche, derartige Analogien in meinen Texten zu vermeiden. Schaff ich auch nicht immer. Aber immerhin werde ich es mir in diesem Text gerade noch verkneifen, den naheliegenden Vergleich mit Ira Levins „Stepford wives“ ins Spiel zu bringen. Kill your darlings ... Aber ich weiß zum Beispiel genau, dass es Hervé Jeanne, einem großartigen Musiker und wunderbaren Menschen, mit dem ich die Ehre habe, von Zeit zu Zeit auftreten zu dürfen, gehörig auf die Nerven geht, wenn er als „der Bassist von Roger Cicero“ angekündigt wird.


Jedes Kapitel ist in der Ich-Perspektive eines der Protagonisten verfasst. Rita, ihr Mann Georg, dessen behinderter Bruder. Ulla, ihr Mann Rainer. Deren Kinder. Alle haben ihre kleinen Auftritte. Ihre Ängste, Freuden, Geheimnisse. Hennig von Lange gibt auch den Kindern eine Stimme, die zumindest gleichberechtigt mit den lauteren Organen der Erwachsenen ist. Constanze etwa hält sich selbst für die schärfste Tussi der Welt. Sie singt Tosca-Arien, hat sich auf der Suche nach Mr. Right durch die halbe Schule gevögelt. Ulla, ihre Mama, schlägt ihr vor, sie solle dem Nachbarsjungen Johannes etwas von ihrer Aufmerksamkeit schenken. Offenbar dient die feministische Literatur, mit der Ulla ihre Tochter immer gepestet hat, demselben Zweck wie einst Simmel, Konsalik und der große Brockhaus. Staubfänger. Doch nach anfänglicher wütender, verständnisloser Ablehnung des technikbegeisterten Einzelgängers mit der Stephen-Hawking-Brille stellt Constanze fest, dass er wohl der Einzige ist, der sie für das begehrt, was sie wirklich ist – Johannes wird zu ihrem Nerd in shiny armor.

Wer ist denn Hennig von Lange wirklich? Über sie sagt man auch so einiges: GZSZ-Autorin, Benetton-Werbegesicht, sie habe „ … neben Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht die Pop-Literatur in Deutschland begründet.“ Bla bla bla. So what.

Die besonderen Kinder

Hennig von Lange hat damals mit 24 Jahren ihren Teil zur modernen deutschen Literatur beigesteuert. Daneben und zeitgleich hat sie noch eine Fantastilliarde anderer Dinge gemacht – die neben „Relax“, dieser ihrer Tatort-Melodie, ihrem „Blowing in the wind“, ihrem „Yesterday“ viel mehr über sie aussagen als nur ein einzelnes Buch, dessen Sprache zufällig genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. Model, Moderatorin, Drehbuch-, Kinder-, Jugend – und Erwachsenenbuchautorin, Publizistin – die Liste der kulturellen Hennig von Langeschen Unternehmungen ist lang. Und jetzt steht „Kampfsterne“ am momentanen Ende dieser Liste, der Roman, den ich nicht lesen wollte, es aber aus einem unbestimmten Gerechtigkeitsgefühl heraus doch getan habe.

Die Kinder schildern ihre kleine Welt – schon jetzt geprägt vom Weltbild der Großen. Ablehnung, Unverständnis, Belustigung, wenn es um ihre jeweiligen Eltern geht, Unsicherheit, Neid, Hohn, wenn sie sich gegenseitig beschreiben. Das kleine rothaarige Lexchen finden alle nur niedlich; insgeheim fühlt sich das Mädchen aber ausgeschlossen, wenn Klara und Joschi miteinander spielen. Rainer, der seine Frau schlägt, buhlt vermeintlich um die Frau seines Nachbarn und will eigentlich nur liebgehabt werden. Ulla tut das, sie liebt ihren Rainer kompromisslos und selbstzerstörerisch und lächelt die Hämatome in ihrem Gesicht einfach weg – Hennig von Lange zeichnet und überzeichnet die einzelnen Charaktere nicht liebevoll, sondern distanziert.

End of the innocence

„Kampfsterne“ ist kein epochales Sittenbild der 80er, es bricht keine Tabus. Das Buch wirkt wie diese zehn Sekunden vom Drücken des Selbstauslösers bis zum Blitz, in denen sich die Protagonisten in Szene setzen. Die Handlung spielt sich auf wenigen Metern ab. Haus eins, Haus zwei, Haus drei. Alter und selbst die Namen der Darsteller sind egal. Lexchen ist Alexa, schon klar, aber Johannes könne genauso gut Georg sein. Oder Klara. Oder Falk. Oder du. Oder ich.
 "Und du fühlst, irgendwo ist ein Geheimnis,
und du weißt, es wär‘ ein Wunder, wenn da keins ist"

(Purple Schulz, „Geheimnis“, 2012)
Und dann, bääm! Constanze berichtet ihrer Mutter heulend von einer schrecklichen Begegnung mit Falk. Und Ulla erzählt es heulend Rainer, ihrem prügelnden Mann. Erzählt ihm, dass ihre Tochter vergewaltigt worden ist. Er reagiert wie immer, sagt, sie solle sich nicht so anstellen. Sie rastet aus, und er stellt überrascht fest, dass er das attraktiv findet. Sie schlafen miteinander und die Szene gipfelt in dem unerträglichen Gedanken, dass möglicherweise die Vergewaltigung ihrer Tochter Ullas Ehe gerettet haben könnte.
 
Die Klarheit, mit der die Autorin ihre Figuren malt, ist erschreckend. Immer wieder muss ich mich daran erinnern, dass Krimiautoren keine Massenmörder sind. Hilfreich allemal, ab und zu auf die vierte Seite zurück zu blättern, auf der eine Widmung steht: Für meine Eltern, die uns Kindern gezeigt haben, was Liebe ist.

Cellospielende Kinder, Möbel in dezent-freundlichen Farben, man ist Architekt oder Banker, die Damen tragen Kostüm und Rüschen, die Herren Markenhemden und Verantwortung. Der Cello-Lehrer ist der reizende Sohn der reizenden Nachbarn und ein Vergewaltiger, der Tüftel-Bastel-Sohn bringt sich nur deshalb nicht um, weil man das a: in diesen Kreisen nicht tut und b: es schon jemand vor ihm getan hat. Man liest über, und ich bemühe erneut Purple Schulz, „die Familien ungeweinter Tränen.“

Respekt, Alexa Hennig von Lange, für dieses gereifte Buch. Über das Ende der Kindheit, über das Ende der Unschuld. Nach mehr als 20 Jahren Ihres Schreibens hätte der Titel auch lauten können: „Nur der Pudding hört mein Seufzen“. Wäre Gottseidank ein Plagiat gewesen. Und hätte den Leser nicht daran erinnert, dass auch heute Frank und Anja in ihrem Reihenhaus womöglich einen höheren Preis für das Steak, das sie auf den namhaften Grill legen, bezahlen, als den an der Frischfleisch-Theke.
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Das Buch ist da!!!

16/8/2018

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Hauburg und Krowie proudly present: Das Buch zum Blog!

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Kind, hör doch mal ...

13/6/2018

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(mik) Gestern, in meinem Lieblingsbuchladen, stöberte ich mich gerade durch die Neuerscheinungen und genoss den Geruch von bedrucktem Papier, die Stille und diese ganz besondere Luft, die irgendwie dicker als draußen ist. Während ich, ritualisiert wie immer, nach neuen Büchern längst vergessener Autoren suchte – Peter O'Donnell, Andrew Vachss, David M. Pierce beispielsweise, für die Leser unter meinen Lesern – drangen Wortfetzen zu mir durch. In der Nachbarabteilung unterhielten sich zwei Frauen – sie taten das immerhin leise in meiner Oase der Ruhe, aber sie taten es. Ich hörte einzelne Wörter, „ ... glückliche Kinder, Elterncoaching, Ausrasten …“

Eine offenbar frischgebackene Mutter war vertieft in eine Diskussion über Sinn und Unsinn von Erziehungsvorschlägen in Papierform – oder, wahlweise, digital. Ihre Gesprächspartnerin war wohl ihre Mutter, die frisch gebackene Oma, zumindest sagte sie andauernd „Kind, hör doch mal“ zu ihrer ganz und gar nicht kindlich wirkenden Tochter. Deren Gesichtsausdruck war ein wenig angestrengt, wie ich meine, gesehen zu haben – ich fragte mich, wie angestrengt sie wohl geblickt hätte, wenn das Kind dabei gewesen wäre. Wo war das eigentlich, das Kind, fragte ich mich weiter, wenn Mama und Oma gemeinsam unterwegs waren. Nicht meine Baustelle, nicht mein Bier, sagte ich mir und blätterte halbherzig weiter in dem Krimi herum, den ich gerade in der Hand hielt. „Kind, hör doch mal“, sagte die Mutter. Töchterchen sagte „Ach, Mama“ und wühlte lustlos auf einem liebevoll in rosa und blau dekorierten Tisch mit Ratgebern zum Thema Kindererziehung herum.


Eine Verkäuferin witterte ihre Chance und pries einen „Verkaufsschlager“ an. „Da steht alles drin, was moderne Großstadteltern wissen müssen“, meinte sie. Nun ja. Schwierig. Stand da auch was über Babys, die in der Lage sind, 24 Stunden am Tag zu brüllen? Oder die es schaffen, ihren Strampler nicht nur hinten, sondern auch vorn und an den Seiten voll zu kacken? Stand da was über allein erziehende Mütter, die acht Stunden Schlaf bekommen – in zwei Wochen? Jedenfalls versuchte die Buchhändlerin, den Ratgeber, der ja – oho – auch von der Zeitschrift „Eltern“ empfohlen wurde, an die Frau zu bringen. Der Appell der Großmutter, Kindererziehung könne kein Buch der Welt lehren, das sei eine Frage des individuellen Bauchgefühls, verhallte ungehört.

Die Tochter erwarb den Verkaufsschlager; „Kind, hör doch mal“, sagte die Mutter, als sie das Geschäft verließen. Ich schlich mich in die Elternabteilung. Dort wirke ich ähnlich deplatziert wie in der Abteilung für Damenhygiene oder für Haarpflegeartikel, aber ich fand das besagte Buch und blätterte mich durch das angebliche Objekt der Begierde moderner Großstadteltern. Der Helfer in Papier erinnerte mich an eine Bedienungsanleitung. „Drücken Sie Knopf A und legen Sie Schalter B um, damit folgendes passiert.“ 


Ich persönlich gebe der Großmutter Recht. Wo ist das gute alte Bauchgefühl geblieben? Die Erkenntnis, dass ein Grashalm nicht schneller wächst, wenn man daran zieht? Die Gewissheit, dass sich das alles schon irgendwie von alleine regelt? Als ich klein war, habe ich ein Eis, das mir auf den Boden fiel, einfach aufgehoben und weitergeleckt. Ich habe derartig viele lächerliche filmreife Unfälle mit dem Fahrrad gehabt, dass ich mich heute noch wundere, dass ich nicht schlimm verstümmelt bin. Ich ging zu Fuß in meine Grundschule und habe auch die Hauptverkehrsstraße, die ich auf dem Weg ohne Ampel überqueren musste, überlebt. Vielleicht sollte jemand dieser jungen Mutter einfach Zuversicht geben. Denn Ratschläge sind ja bekanntlich auch Schläge. Ich glaube, ich schreibe mal wieder ein Buch – wahlweise über Kindererziehung. Und wahlweise digital.
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Asparagus

6/5/2018

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(mik) Es ist also wieder soweit: Die Region stellt die Ernährung auf Zierpflanzen um. In den Gewächshäusern und auf den Feldern sprießt der Spargel stangenweise aus der Erde, auf den Wochenmärkten und in den Restaurants beginnt der Kampf um die lang ersehnte, rare Delikatesse.


Zugegeben: Spargel ist weniger ein Nahrungsmittel denn eine Philosophie. Satt wird man von dem Zeug, das nahezu ausschließlich aus Wasser besteht, nicht. Die Beilagen und die Art der Zubereitung sind es, die der Mahlzeit ihren Kultcharakter geben. Schält man selbst oder lässt man schälen? In der Markthalle etwa oder bei REWE stehen diese futuristischen Spargelschaleneliminierungstunnelmaschinen, die innerhalb weniger Sekunden die Spargelspreu vom Spargelweizen trennen können. (Hallo REWE, hallo Markthalle, wie wäre es mit etwas Werbung auf meiner Seite?) Der Grüne, Amerikanische, der nicht geschält werden muss, ist zu Schleuderpreisen zu haben und wird naserümpfend links liegen gelassen. Spargel aus Formosa oder aus EU-Ländern, die die auf „en“ enden, kommt uns in den nächsten Monaten auch nicht auf den (vorgewärmten) Teller. Nienburg oder Burgdorf sind und bleiben die Spargelgebiete unseres Vertrauens.


Ich persönlich bevorzuge Old-school-Spargel, mit zerlassener Butter, neuen Kartoffeln und Schnitzel in nicht wirklich homöopathischen Mengen. Ich erinnere mich an eine Einladung zum Spargelessen im vergangenen Jahr. Einer meiner Bekannten ist Meister der Variation: Als Vorspeise reichte er eine Spargel-Limetten-Suppe, danach gab es gebratenen Chili-Spargel, dazu selbst gebackenes Brot. Zum Dessert gab es Spargeleis. Er hat wahrscheinlich stundenlang in der Küche gestanden. Nicht, dass ich mich beschweren wollte, aber ich habe mich relativ schnell verabschiedet. Auf dem Heimweg in die Südstadt und auf der Suche nach etwas, was meinen Hunger stillen würde, kam ich an einem Dönerladen vorbei. Ich will ja immer Grenzen niederreißen, also kam ich ins Grübeln. Wäre das womöglich eine Geschäftsidee? Spargeldöner, Spargelburger, Currywurst mit Spargel? Ich werde heute Abend weiter darüber nachdenken, während ich meine Schnitzel paniere.
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Tanz mit mir

5/5/2018

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(lil) Vor einer Weile habe ich beim Bier mit einem alten Freund das Thema Kompromisse am Wickel gehabt. Ich glaube – nein, ich bin mir sicher – dass wir auch über Beziehungen geredet haben. „Kompromisse sind scheiße“, hat er gesagt, „da gibst du irgendwie immer ein Stück von dir auf und so richtig zufrieden bist du mit dem Ergebnis nie. Das nagt dann langfristig an der Partnerschaft.“ 

Obwohl dieses Gespräch schon geraume Zeit zurückliegt, denke ich oft an diese Diskussion. Irgendwie hat er nicht Unrecht, mein Kumpel, andererseits mag ich den Ultimativitätscharakter dieses Gedankens nicht. Wo landen Partnerschaften, Freundschaften und menschliche Beziehungen letztendlich, wenn man nicht nach gemeinsamen Wegen sucht? Wie würde sich jemand in den letzten Momenten seines Lebens fühlen, während er die Bilder seines Lebens noch einmal vor den Augen vorbeiziehen sieht, eines Lebens, in dem er konsequent keine Kompromisse eingegangen ist? Und was, wenn auch seine Liebsten um ihn herum dieser Auffassung gewesen wären? Die nun nicht bei ihm wären, weil sie mit Sterben und Tod nicht umgehen können, so gern sie eigentlich auch an seinem Bett gesessen hätten. Würde sich der sterbende Mensch entkräftet auf die Schulter klopfen und sich selbst beteuern, dass er immerhin total authentisch unterwegs gewesen sei? Oder verspürte er am Ende dann doch ein leises Gefühl des Bedauerns?

Als „Übereinkunft durch gegenseitige Zugeständnisse“ definiert der Duden den Kompromiss (Band 5, S. 546). Ich gestehe also etwas zu – was sich im ersten Moment durchaus negativ anfühlt. Denn ich muss wohl ein Stück von meiner Meinung abrücken. Von der ich ja aus guten Gründen überzeugt bin. Übereinkunft hingegen klingt friedlich. Wir haben eine Lösung gefunden, mit der wir übereinkommen, gut leben können. Und darin liegt womöglich das Geheimnis von Kompromissen: Um sie zu finden, muss man miteinander tanzen. Schritte aufeinander zu machen. Vielleicht erst aneinander vorbei, dann wieder ein Stück zurück. Noch ein wenig nach rechts und ein Fitzelchen nach hinten links. Bis jeder sagt: Ja, jetzt fühlt es sich gut an. Nicht faul. Nicht scheiße. 

Ich bin davon überzeugt, dass Kompromisse etwas sehr Wertvolles sind, weil es sich lohnt, sich miteinander zu beschäftigen. Egozentrik hingegen (Duden: „Verhaltensweise, die die eigene Person als Zentrum allen Geschehens betrachtet und alle Ereignisse nur in ihrer Bedeutung für und in ihrem Bezug auf die eigene Person wertet“) – so spannend sie in manchen Momenten wirken mag, erscheint mir auf lange Sicht in sozialen Gebilden eher als Trotzgebaren.
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Interessant finde ich an diesem Punkt, dass ich gar nicht über Kompromisse im zwischenmenschlichen Bereich schreiben wollte, sondern eigentlich über die Tatsache, dass ich ein „part time oldschool“-Mensch bin. Geh weg, digitale Affinität – die habe ich längst. Trotzdem: Mein Terminkalender hängt konsequent im Papierformat in der Küche und als Zwischenspeicher für tagsüber hereinflatternde Termine dient mir ein Klebchen auf der Zigarettenschachtel, das ich dann abends in den Küchenkalender übertrage. (A propos Zigaretten: Old-schooler geht es ja wohl nicht). EBooks sind nach wie vor der blanke Horror für mich, obwohl ich große Teile meines Tages vor irgendwelchen mobilen Endgeräten verbringe. Aber beim entspannten Freizeitlesen will ich an Papier schnuppern und die ausgelesene Beute als Trophäe in mein beachtlich gefülltes Bücherregal stellen (zum Beispiel neben den Duden, Band 5). Ich will Eselsohren in mein Lesematerial machen: Oben an der Seite, bei der mir entkräftet das Buch aus der Hand oder auf mein Gesicht fällt – unten an Seiten mit wichtigen Passagen, die ich irgendwann wiederfinden will. Ich will Randbemerkungen hinein kritzeln. Und ein aus meiner Sicht extrem schlechtes Buch mit befriedigendem Schwung in die Altpapiertüte pfeffern. 

Ich dachte bis eben, ich mache Kompromisse mit mir selbst. Nun werde ich wohl den Rest der Nacht mit der Frage verbringen, ob zu Kompromissen nicht immer mindestens zwei gehören. Oder ob man sie auch mit sich allein schließen kann. Ich befrage mal mein kompromissbereites zweites Ich … 
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    ​Lilly (lil): 
    ​​​50 bisschenplus, nachtaktive PR-Frau, neugierig und manchmal altersmilde und -hysterisch..

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    ​Krowie (mik): 
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    50 ganzschönplus, Journalist, Teilzeitmusiker, Glatz- und Gnatzkopp. 

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