(lil) Vor einer Weile habe ich beim Bier mit einem alten Freund das Thema Kompromisse am Wickel gehabt. Ich glaube – nein, ich bin mir sicher – dass wir auch über Beziehungen geredet haben. „Kompromisse sind scheiße“, hat er gesagt, „da gibst du irgendwie immer ein Stück von dir auf und so richtig zufrieden bist du mit dem Ergebnis nie. Das nagt dann langfristig an der Partnerschaft.“
Obwohl dieses Gespräch schon geraume Zeit zurückliegt, denke ich oft an diese Diskussion. Irgendwie hat er nicht Unrecht, mein Kumpel, andererseits mag ich den Ultimativitätscharakter dieses Gedankens nicht. Wo landen Partnerschaften, Freundschaften und menschliche Beziehungen letztendlich, wenn man nicht nach gemeinsamen Wegen sucht? Wie würde sich jemand in den letzten Momenten seines Lebens fühlen, während er die Bilder seines Lebens noch einmal vor den Augen vorbeiziehen sieht, eines Lebens, in dem er konsequent keine Kompromisse eingegangen ist? Und was, wenn auch seine Liebsten um ihn herum dieser Auffassung gewesen wären? Die nun nicht bei ihm wären, weil sie mit Sterben und Tod nicht umgehen können, so gern sie eigentlich auch an seinem Bett gesessen hätten. Würde sich der sterbende Mensch entkräftet auf die Schulter klopfen und sich selbst beteuern, dass er immerhin total authentisch unterwegs gewesen sei? Oder verspürte er am Ende dann doch ein leises Gefühl des Bedauerns?
Als „Übereinkunft durch gegenseitige Zugeständnisse“ definiert der Duden den Kompromiss (Band 5, S. 546). Ich gestehe also etwas zu – was sich im ersten Moment durchaus negativ anfühlt. Denn ich muss wohl ein Stück von meiner Meinung abrücken. Von der ich ja aus guten Gründen überzeugt bin. Übereinkunft hingegen klingt friedlich. Wir haben eine Lösung gefunden, mit der wir übereinkommen, gut leben können. Und darin liegt womöglich das Geheimnis von Kompromissen: Um sie zu finden, muss man miteinander tanzen. Schritte aufeinander zu machen. Vielleicht erst aneinander vorbei, dann wieder ein Stück zurück. Noch ein wenig nach rechts und ein Fitzelchen nach hinten links. Bis jeder sagt: Ja, jetzt fühlt es sich gut an. Nicht faul. Nicht scheiße.
Ich bin davon überzeugt, dass Kompromisse etwas sehr Wertvolles sind, weil es sich lohnt, sich miteinander zu beschäftigen. Egozentrik hingegen (Duden: „Verhaltensweise, die die eigene Person als Zentrum allen Geschehens betrachtet und alle Ereignisse nur in ihrer Bedeutung für und in ihrem Bezug auf die eigene Person wertet“) – so spannend sie in manchen Momenten wirken mag, erscheint mir auf lange Sicht in sozialen Gebilden eher als Trotzgebaren.
Interessant finde ich an diesem Punkt, dass ich gar nicht über Kompromisse im zwischenmenschlichen Bereich schreiben wollte, sondern eigentlich über die Tatsache, dass ich ein „part time oldschool“-Mensch bin. Geh weg, digitale Affinität – die habe ich längst. Trotzdem: Mein Terminkalender hängt konsequent im Papierformat in der Küche und als Zwischenspeicher für tagsüber hereinflatternde Termine dient mir ein Klebchen auf der Zigarettenschachtel, das ich dann abends in den Küchenkalender übertrage. (A propos Zigaretten: Old-schooler geht es ja wohl nicht). EBooks sind nach wie vor der blanke Horror für mich, obwohl ich große Teile meines Tages vor irgendwelchen mobilen Endgeräten verbringe. Aber beim entspannten Freizeitlesen will ich an Papier schnuppern und die ausgelesene Beute als Trophäe in mein beachtlich gefülltes Bücherregal stellen (zum Beispiel neben den Duden, Band 5). Ich will Eselsohren in mein Lesematerial machen: Oben an der Seite, bei der mir entkräftet das Buch aus der Hand oder auf mein Gesicht fällt – unten an Seiten mit wichtigen Passagen, die ich irgendwann wiederfinden will. Ich will Randbemerkungen hinein kritzeln. Und ein aus meiner Sicht extrem schlechtes Buch mit befriedigendem Schwung in die Altpapiertüte pfeffern.
Ich dachte bis eben, ich mache Kompromisse mit mir selbst. Nun werde ich wohl den Rest der Nacht mit der Frage verbringen, ob zu Kompromissen nicht immer mindestens zwei gehören. Oder ob man sie auch mit sich allein schließen kann. Ich befrage mal mein kompromissbereites zweites Ich …
Ich dachte bis eben, ich mache Kompromisse mit mir selbst. Nun werde ich wohl den Rest der Nacht mit der Frage verbringen, ob zu Kompromissen nicht immer mindestens zwei gehören. Oder ob man sie auch mit sich allein schließen kann. Ich befrage mal mein kompromissbereites zweites Ich …