(lil) Ob ich noch einen Pelzmantel aus dem Vermächtnis meiner Mutter hätte - diese Anfrage einer Freundin erreichte mich kurz vor Weihnachten. Der erste Abschlussball ihrer Tochter, und sie wünschte sich ein wenig Vintage über dem kleinen Schwarzen.
Natürlich habe ich. Meine Mutter war wahrlich keine Dame, die sich in edle Pelze hüllt, aber ich habe ihren einzigen Mantel, den „Cockerspaniel“, aufgehoben. Ich hüte ihn wie einen Schatz. Er ist ungefähr 60 Jahre alt. Auf jedem Winter- und Schneeschipp-Foto aus den Fünfzigern, Sechzigern, Siebzigern hat sie ihn an. In den Jahrzehnten wurde er mehrfach umgeschneidert, und meine Mutter trug ihn wirklich bis zuletzt. Bis sie immer kleiner und dünner wurde und er sie fast erdrückte. Er hat die Farbe des Hundes, der ihm den Namen gab, er ist genau so gelockt, und an der ein und anderen Stelle trägt er Glatze. In einer ibizenkischen Hippiekolonie wäre ich - derart gewandet - die ungekrönte Königin. Kurz gesagt: Mein Herz hängt sehr an diesem Mantel, denn nichts verbinde ich so mit meiner Mutter wie den Cockerspaniel.
Natürlich habe ich. Meine Mutter war wahrlich keine Dame, die sich in edle Pelze hüllt, aber ich habe ihren einzigen Mantel, den „Cockerspaniel“, aufgehoben. Ich hüte ihn wie einen Schatz. Er ist ungefähr 60 Jahre alt. Auf jedem Winter- und Schneeschipp-Foto aus den Fünfzigern, Sechzigern, Siebzigern hat sie ihn an. In den Jahrzehnten wurde er mehrfach umgeschneidert, und meine Mutter trug ihn wirklich bis zuletzt. Bis sie immer kleiner und dünner wurde und er sie fast erdrückte. Er hat die Farbe des Hundes, der ihm den Namen gab, er ist genau so gelockt, und an der ein und anderen Stelle trägt er Glatze. In einer ibizenkischen Hippiekolonie wäre ich - derart gewandet - die ungekrönte Königin. Kurz gesagt: Mein Herz hängt sehr an diesem Mantel, denn nichts verbinde ich so mit meiner Mutter wie den Cockerspaniel.
Als ich ihn aus meinem Kabuff holte ("Kabuff, das", winziger Raum meiner Wohnung, in dem ich alles aufbewahre, was entweder unansehnlich ist oder anderswo nicht mehr hineinpasst), fasste ich natürlich in sämtliche Taschen. In der linken fand ich dann wirklich einen Schatz. Er war mehr wert als ein Goldbarren oder ein Brillantcollier. Es war ein Einkaufszettel meiner Mutter.
Ich musste heulen. Ich griff in die rechte Tasche. In der steckte passenderweise ein Tempotaschentuch - nicht, dass mich das gewundert hätte.
Ach ja, Tempo. Meine Mutter hatte in nahezu jeder Jackentasche ein Tempo. Es war quasi ihr Markenzeichen. Zum einen tränten ihre Augen mit zunehmendem Alter beim leisesten Windhauch, zum anderen brach sie beim geringsten Anlass in Tränen aus. Mein Gott, sie IST aber auch sentimental, seufzte ich zu ihren Lebzeiten in mich hinein. Und ich schämte mich manchmal dafür – wofür ich mich heutzutage schäme. Ich erklärte mir ihre sentimentalen Anflüge damit, dass sie es ja schwer gehabt hatte im Leben. Krieg, Flucht, Neubeginn, der Heinrich, der impulsive Mann, ich, die Lilly, das impulsive Kind, und sie, die Zartbesaitete, mittendrin.
Zartbesaitet – eine Eigenschaft, die ich zunehmend auch mir zuschreibe, ob ich will oder nicht. Jetzt, in den Rauhnächten, ist es Zeit, diesen Saiten ein paar Seiten zu widmen. Für die Rauhnächte - so nennt man die zwischen Weihnachten und dem 6. Januar - finden sich in der Literatur viele Interpretationen. Für mich ist es eine Zeit, innezuhalten. Der Rückblick auf das Vergangene und der Versuch, mir vorzustellen, was die Zukunft bringt.
Das geht selten ohne Taschentuch. Traditionell öffne ich die Schleusen am Heiligen Abend in der Kirche - wenn die Lichter ausgehen ganz am Ende und die „Stille Nacht“ ertönt. Gelingt es mir, mindestens die dritte Strophe mitzusingen, ohne dass sich die anderen Kirchgänger irritiert umsehen, weil sie auf der Suche nach einem Schlosshund sind, sitze ich mental relativ fest im Sattel. In diesem Jahr saß ich so mittel. Immerhin bin ich bei „…tönt es laut von fern und nah“ wieder eingestiegen.
Am ersten Weihnachtstag wollte ich meiner Tochter meinen Lieblings-Weihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön“ schildern: Wie sich Clarence, der Engel, seine Flügel damit verdient, dem lebensmüden George Bailey den Sinn des Lebens aufzuzeigen. Allerdings konnte ich vor Schluchzen nicht einmal diesen Satz vollständig formulieren. Meine Tochter – ich sah es an ihrem Blick. Ich sehe es immer - seufzte in sich hinein: Mein Gott, sie IST aber auch sentimental.
Ja, bin ich. Denn sentimental bedeutet: ich fühle, nehme wahr, verstehe, bemerke, erkenne. Es erscheint mir wichtiger denn je. In einer Welt, in der protestgewählte Parteivertreter erklären, die Sonne sei am Klimawandel schuld. In einer Welt, in der Präsidenten empfehlen, wie und an welcher Stelle man Frauen am besten berührt. In einer Welt, in der verbale Ausfälle in sozialen Netzen hoffähig zu sein scheinen.
Lasst uns froh und munter sein. Und lasst uns sentimental sein. Jetzt, im Winter. Und im Frühling, im Sommer und im Herbst. Frohes neues Jahr!
Ich musste heulen. Ich griff in die rechte Tasche. In der steckte passenderweise ein Tempotaschentuch - nicht, dass mich das gewundert hätte.
Ach ja, Tempo. Meine Mutter hatte in nahezu jeder Jackentasche ein Tempo. Es war quasi ihr Markenzeichen. Zum einen tränten ihre Augen mit zunehmendem Alter beim leisesten Windhauch, zum anderen brach sie beim geringsten Anlass in Tränen aus. Mein Gott, sie IST aber auch sentimental, seufzte ich zu ihren Lebzeiten in mich hinein. Und ich schämte mich manchmal dafür – wofür ich mich heutzutage schäme. Ich erklärte mir ihre sentimentalen Anflüge damit, dass sie es ja schwer gehabt hatte im Leben. Krieg, Flucht, Neubeginn, der Heinrich, der impulsive Mann, ich, die Lilly, das impulsive Kind, und sie, die Zartbesaitete, mittendrin.
Zartbesaitet – eine Eigenschaft, die ich zunehmend auch mir zuschreibe, ob ich will oder nicht. Jetzt, in den Rauhnächten, ist es Zeit, diesen Saiten ein paar Seiten zu widmen. Für die Rauhnächte - so nennt man die zwischen Weihnachten und dem 6. Januar - finden sich in der Literatur viele Interpretationen. Für mich ist es eine Zeit, innezuhalten. Der Rückblick auf das Vergangene und der Versuch, mir vorzustellen, was die Zukunft bringt.
Das geht selten ohne Taschentuch. Traditionell öffne ich die Schleusen am Heiligen Abend in der Kirche - wenn die Lichter ausgehen ganz am Ende und die „Stille Nacht“ ertönt. Gelingt es mir, mindestens die dritte Strophe mitzusingen, ohne dass sich die anderen Kirchgänger irritiert umsehen, weil sie auf der Suche nach einem Schlosshund sind, sitze ich mental relativ fest im Sattel. In diesem Jahr saß ich so mittel. Immerhin bin ich bei „…tönt es laut von fern und nah“ wieder eingestiegen.
Am ersten Weihnachtstag wollte ich meiner Tochter meinen Lieblings-Weihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön“ schildern: Wie sich Clarence, der Engel, seine Flügel damit verdient, dem lebensmüden George Bailey den Sinn des Lebens aufzuzeigen. Allerdings konnte ich vor Schluchzen nicht einmal diesen Satz vollständig formulieren. Meine Tochter – ich sah es an ihrem Blick. Ich sehe es immer - seufzte in sich hinein: Mein Gott, sie IST aber auch sentimental.
Ja, bin ich. Denn sentimental bedeutet: ich fühle, nehme wahr, verstehe, bemerke, erkenne. Es erscheint mir wichtiger denn je. In einer Welt, in der protestgewählte Parteivertreter erklären, die Sonne sei am Klimawandel schuld. In einer Welt, in der Präsidenten empfehlen, wie und an welcher Stelle man Frauen am besten berührt. In einer Welt, in der verbale Ausfälle in sozialen Netzen hoffähig zu sein scheinen.
Lasst uns froh und munter sein. Und lasst uns sentimental sein. Jetzt, im Winter. Und im Frühling, im Sommer und im Herbst. Frohes neues Jahr!