(lil) Seit meiner Kindheit habe ich eine Angewohnheit, die mich für Sekunden glücklich und tagelang unglücklich macht: Ich fummele an meinen Fingernägeln herum. Oft fragen mich Menschen, wobei ich mich denn so schlimm verletzt hätte – ich ignoriere das seit Jahrzehnten. Wenn Zitronensaft oder Nagellackentferner auf die von mir befummelten Stellen geraten, kommt der Schmerz jedes mal einem Männerschnupfen gleich – auf Scherben zu laufen ist dagegen Kinderkram.
Eines Tages gab mir eine gute Freundin und Kollegin den Tipp, mir Nägel aus Gel machen zu lassen. Schöne, gepflegte Hände seien die Visitenkarte einer Frau und so weiter und so weiter. Zugegeben: Sie hat sie, die Visitenkarte, und ich bewundere sie heimlich dafür. Dennoch spulten sich vor meinem geistigen Auge schreckliche Bilder ab: Katzenberger-Pink, Krallen statt Nägeln, nie wieder Touch-Screens oder Fahrstuhlknöpfe bedienen können, nur noch Freundinnen aus dem Landkreis, Nägel, blau-grün, mit Blütenranken. Adieu Tastatur, adieu Schreibkarriere, hallo sozialer Abstieg. Ich sah mich schon in einer Reihe vor gefühlt hundert bemundschutzten Asiatinnen in grell erleuchteten, feinstaubgeschwängerten Nagelverlängerungsbatterien sitzen. Schnappatmend lehnte ich dankend ab.
Als mein Gefährte eines Tages ein Bild meiner morgendlichen Hand an der morgendlichen Kaffeetasse in die Whats-App Gruppe postete, kam ich ins Grübeln. Der Kaffee sah lecker aus, die Hand nicht. Ob denn Lilly nicht da sei, frug die Gruppe, und wem denn diese abgekauten Nägel gehörten. Kleinlaut bat ich am nächsten Tag die kollegiale Freundin noch einmal um Erläuterung des Verschönerungspozesses und schließlich um die Adresse der ersten Kosmetikerin am Platz. Dort sitzt man allein vor UV-Lampen, – oder neben einer lokalprominenten Dame – die das Gel härten lassen sollen. Erfüllt von dem Gedanken: Hauptsache keine Katzenberger-Nägel. Nach der Prozedur, die mich gefühlt ein halbes Monatsgehalt kostete und von meinen flehentlichen „noch-kürzer-und-den-unauffälligsten-transparentesten-Lack-bitte“-Rufen begleitet wurde, stand ich auf der Straße und betrachtete meine Nägel. Und fühlte mich ein bisschen wie Grace Kelly. Handseitig. An der restlichen Grazilität könnte ich auch noch arbeiten, aber ich habe es immer sehr eilig und finde vieles, was angeblich weibliche Attribute verleihen soll, eher anstrengend. Hohe Schuhe im Alltag zum Beispiel. Meinen letzten Geburtstag habe ich mit einer am rechten Knie zerrissenen Strumpfhose verbracht. Weil ich morgens mit High Heels, Mülltüte in der rechten und Kuchenteller in der linken Hand am Bordstein gescheitert bin. Dramatisch gescheitert bin. Ich erspare Ihnen die weiteren schmutzigen Details. „Geh doch mal wie eine Frau“ seufzt mein bester Freund Cord andauernd. Aber das ist eine andere Geschichte.
Mittlerweile habe ich mit Frau Kellys Nägeln tiefen Frieden geschlossen und bin auch ein bisschen stolz, zugegeben. Ich stehe manchmal vor dem Spiegel und gucke meine Hände aus unterschiedlichen Perspektiven an. Abgesehen vom optischen Wow-Effekt kann ich auch gar nicht mehr daran gnibbeln, denn der Gelnagel als solcher ist quasi rund. Wie ein Tellerrand. Man kann sich übrigens auch mit einem Teller nicht richtig kratzen.
Es kann sich nur noch um Jahre handeln, bis ich den Umgang mit den Fingerspitzen beherrsche. Erste Erfolge stellen sich allerdings schon ein: Wenn mir an der Supermarktkasse die EC-Karte auf die Ablage fällt, schaffe ich es mittlerweile unter einer halben Stunde, sie aufzuklauben.
Bei der letzten Sitzung fragte mich die erste Kosmetikerin am Platz, wie oft ich denn eigentlich zur Kosmetik ginge. Die Antwort „alle 25 Jahre“ erschien mir zu frotzelig, also sagte ich „eher unregelmäßig“. Man könne da viel machen, auch ohne Botox, frohlockte sie. Dann schilderte sie mir mit leuchtenden Augen all die Veränderungen in meinem Hautbild nach ihrer aufbauenden und aufpolsternden Pflege. Ich sah genauer hin. Ihre Augen leuchteten gar nicht, es waren kleine Eurozeichen, die in ihrer Iris glitzerten. Ich lehnte dankend ab. Diesmal ohne Schnappatmung. Aus dem Spiegel hinter der ersten Kasse am Ort zwinkerte mir Grace Kelly wissend lächelnd zu.
Eines Tages gab mir eine gute Freundin und Kollegin den Tipp, mir Nägel aus Gel machen zu lassen. Schöne, gepflegte Hände seien die Visitenkarte einer Frau und so weiter und so weiter. Zugegeben: Sie hat sie, die Visitenkarte, und ich bewundere sie heimlich dafür. Dennoch spulten sich vor meinem geistigen Auge schreckliche Bilder ab: Katzenberger-Pink, Krallen statt Nägeln, nie wieder Touch-Screens oder Fahrstuhlknöpfe bedienen können, nur noch Freundinnen aus dem Landkreis, Nägel, blau-grün, mit Blütenranken. Adieu Tastatur, adieu Schreibkarriere, hallo sozialer Abstieg. Ich sah mich schon in einer Reihe vor gefühlt hundert bemundschutzten Asiatinnen in grell erleuchteten, feinstaubgeschwängerten Nagelverlängerungsbatterien sitzen. Schnappatmend lehnte ich dankend ab.
Als mein Gefährte eines Tages ein Bild meiner morgendlichen Hand an der morgendlichen Kaffeetasse in die Whats-App Gruppe postete, kam ich ins Grübeln. Der Kaffee sah lecker aus, die Hand nicht. Ob denn Lilly nicht da sei, frug die Gruppe, und wem denn diese abgekauten Nägel gehörten. Kleinlaut bat ich am nächsten Tag die kollegiale Freundin noch einmal um Erläuterung des Verschönerungspozesses und schließlich um die Adresse der ersten Kosmetikerin am Platz. Dort sitzt man allein vor UV-Lampen, – oder neben einer lokalprominenten Dame – die das Gel härten lassen sollen. Erfüllt von dem Gedanken: Hauptsache keine Katzenberger-Nägel. Nach der Prozedur, die mich gefühlt ein halbes Monatsgehalt kostete und von meinen flehentlichen „noch-kürzer-und-den-unauffälligsten-transparentesten-Lack-bitte“-Rufen begleitet wurde, stand ich auf der Straße und betrachtete meine Nägel. Und fühlte mich ein bisschen wie Grace Kelly. Handseitig. An der restlichen Grazilität könnte ich auch noch arbeiten, aber ich habe es immer sehr eilig und finde vieles, was angeblich weibliche Attribute verleihen soll, eher anstrengend. Hohe Schuhe im Alltag zum Beispiel. Meinen letzten Geburtstag habe ich mit einer am rechten Knie zerrissenen Strumpfhose verbracht. Weil ich morgens mit High Heels, Mülltüte in der rechten und Kuchenteller in der linken Hand am Bordstein gescheitert bin. Dramatisch gescheitert bin. Ich erspare Ihnen die weiteren schmutzigen Details. „Geh doch mal wie eine Frau“ seufzt mein bester Freund Cord andauernd. Aber das ist eine andere Geschichte.
Mittlerweile habe ich mit Frau Kellys Nägeln tiefen Frieden geschlossen und bin auch ein bisschen stolz, zugegeben. Ich stehe manchmal vor dem Spiegel und gucke meine Hände aus unterschiedlichen Perspektiven an. Abgesehen vom optischen Wow-Effekt kann ich auch gar nicht mehr daran gnibbeln, denn der Gelnagel als solcher ist quasi rund. Wie ein Tellerrand. Man kann sich übrigens auch mit einem Teller nicht richtig kratzen.
Es kann sich nur noch um Jahre handeln, bis ich den Umgang mit den Fingerspitzen beherrsche. Erste Erfolge stellen sich allerdings schon ein: Wenn mir an der Supermarktkasse die EC-Karte auf die Ablage fällt, schaffe ich es mittlerweile unter einer halben Stunde, sie aufzuklauben.
Bei der letzten Sitzung fragte mich die erste Kosmetikerin am Platz, wie oft ich denn eigentlich zur Kosmetik ginge. Die Antwort „alle 25 Jahre“ erschien mir zu frotzelig, also sagte ich „eher unregelmäßig“. Man könne da viel machen, auch ohne Botox, frohlockte sie. Dann schilderte sie mir mit leuchtenden Augen all die Veränderungen in meinem Hautbild nach ihrer aufbauenden und aufpolsternden Pflege. Ich sah genauer hin. Ihre Augen leuchteten gar nicht, es waren kleine Eurozeichen, die in ihrer Iris glitzerten. Ich lehnte dankend ab. Diesmal ohne Schnappatmung. Aus dem Spiegel hinter der ersten Kasse am Ort zwinkerte mir Grace Kelly wissend lächelnd zu.